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Die Probe (German Edition)

Die Probe (German Edition)

Titel: Die Probe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H. J. Anderegg
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hier die Hörner abstoßen und das wahre Berufsleben kennenlernen. Er mochte den Burschen ganz gut, auch wenn er gelegentlich mit seinen Weibergeschichten und der direkten Art etwas nervte.
    »Du freust dich wohl auf dein erstes Hanami, Tommy?«, fragte er unschuldig zurück. Es war Ende März, und die Sakura zensen, die Kirschblütenfront, war im Anzug. Ihm war schon klar, dass der junge Mann nicht auf Hanami, Kirschblüten betrachten, angespielt hatte, denn es war allgemein bekannt, dass Mai noch immer Single war. Doch daran würde sich auch in diesem Frühling nichts ändern, schon aus Symmetriegründen.
    »Hanami, auch gut. Wo steigt denn dieses Jahr die große Party?«
    »Kioto.«
    »Ich verstehe diese Frau nicht«, seufzte Tommy gedankenverloren.
    »Wie bitte?« Der junge Mann deutete stumm zur Tür, wo Renates leuchtender Blondschopf aufgetaucht war. Sie unterhielt sich angeregt mit ihrer geheimnisvollen Besucherin.
    »Renate, die Göttliche, ich verstehe sie nicht. Seit diese Miss Hayman hier ist, beschäftigt sie sich nur noch mit ihr. Sie grüsst mich kaum noch. Was soll man davon halten?« Mai schmunzelte. Es tat dem allzu selbstbewussten Tommy gut, zu erfahren, dass er nicht zwingend im Mittelpunkt weiblichen Interesses stand. Hinter den beiden Frauen betrat die Chefin das Labor. Er beeilte sich, das Teegeschirr auszuspülen, denn er wollte die neusten Auswertungen mit Lauren besprechen. Kaum hatte er einen Schritt auf sie zu gemacht, stand ein hagerer Japaner mit grauem, kantigem Gesicht kurzem pechschwarzem Haar und viel zu weitem Labormantel neben ihr und begann, eifrig auf sie einzureden. Zu spät, dachte Mai verdrießlich. Wenn der zackige Kichi Lauren in Beschlag nahm, konnte es dauern. Kichi Suzuki ließ keine Gelegenheit aus, sich bei der Chefin beliebt zu machen. Zu gerne hätte er deshalb die Position des persönlichen Assistenten und Stellvertreters gehabt, aber die war nun schon von Renate besetzt. Er mochte die blonde Deutsche wohl deswegen nicht. Und Mai mochte Kichi nicht sonderlich. Er war nicht wirklich ein gefährlicher Konkurrent für ihn und seine Karriere, aber den Mann umgab etwas Unheimliches. Er konnte einem nie gerade in die Augen sehen. Er traute ihm nicht.
    Lauren bemerkte Mai. Höflich, aber bestimmt, wimmelte sie den aufdringlichen Kichi ab. Sie hatte Wichtiges mit dem erfahrenen Chemiker zu besprechen und folgte ihm an seinen Schreibtisch.
    »Mai, wie sieht die Auswertung aus?« Sie konnte es nicht erwarten, die Messungen mit den theoretisch vorhergesagten Eigenschaften ihrer letzten Materialprobe zu vergleichen. Seit ein paar Monaten beschäftigten sie und ihr Team sich mit der Entwicklung einer völlig neuen Generation von Solarzellen, Materialien, die Sonnenlicht direkt in elektrischen Strom verwandelten. Sonnenlicht, die unerschöpfliche, CO2-freie, klimaneutrale Quelle erneuerbarer Energie. Die Kraft der Sonnenstrahlung, die auf die Erdoberfläche auftrifft, liefert in einer einzigen Stunde mehr Energie, als während eines Jahres auf dem ganzen Planeten konsumiert wird. Das Problem war nur, diese Strahlung mit vertretbarem Aufwand und möglichst ohne Verlust in nutzbare Energie zu verwandeln. Dieser Aufgabe widmete Lauren sich mit Leidenschaft und großer Begeisterung. Sie empfand diese Forschungsarbeit als ungemein befriedigend, und sie war insgeheim auch ein wenig stolz, direkt zur Lösung eines der wichtigsten Probleme der Menschheit beizutragen.
    Seit sie begonnen hatten, den konventionellen Weg der Herstellung von Sonnenzellen zu verlassen, war das Leben hier richtig aufregend geworden. Kaum ein Tag verging, ohne dass sie neue, erstaunliche Entdeckungen machten. Statt, wie üblich, relativ große Halbleiterkristalle aus Silizium zu verwenden, bildeten sie ihre Zellen aus sehr kleinen Nanokristallen mit einem Durchmesser fast eine Million Mal kleiner als ein Millimeter. Diese Nanokristalle, oder Quanten-Dots, wie man sie auch nannte, zeigten eine verblüffende Eigenschaft. Während die großen Halbleiterkristalle beim Auftreffen eines Lichtteilchens, eines Photons, höchstens ein Elektron für die Stromproduktion freisetzten, lieferten Nanokristalle mehrere Elektronen, je nach Energie, oder Farbe, des Lichts. Theoretisch waren also diese neuen Zellen in der Lage, ein Mehrfaches der elektrischer Energie konventioneller Solarzellen zu erzeugen.
    »Ich glaube, wir sind auf dem richtigen Weg«, antwortete Mai. »Die neuen Proben sind ebenso wirksam wie die

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