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Die Probe (German Edition)

Die Probe (German Edition)

Titel: Die Probe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H. J. Anderegg
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unerträglicher Zustand, den sie jahrelang nicht mehr gekannt hatte. Ärgerlich schüttelte sie den Kopf. Was sollte schon schief gehen? Sie hatte das Dossier ihres unglücklichen Kollegen Meier gründlich studiert, nächtelang mit Michael zusammen recherchiert, in der Welt herum telefoniert. Sie glaubte, Vidals Geschäfte und Beziehungen recht gut zu kennen, und doch wusste sie so gut wie nichts über seine Person, seine Eigenheiten, Vorlieben, Abneigungen. Noch nicht einmal ein neueres Foto hatte sie gesehen. War er arrogant, abstoßend, großzügig oder ein Erbsenzähler, ein Langweiler? Vielleicht mochte er keine Frauen, keine jungen, gutaussehenden Frauen? Jede Facette seiner Persönlichkeit konnte über hunderte von Millionen entscheiden. Der Wagen hielt vor dem Eingang des Terminals. Der bullige, uniformierte Fahrer stieg aus und öffnete ihr die Tür.
    »Bitte folgen Sie mir, Madame. Monsieur Vidal ist soeben gelandet.« Es dauerte nicht lange, bis der geheimnisvolle Louis Vidal vor ihr stand. In diesem Terminal, wo Scheichs, Ministerpräsidenten und die Bosse multinationaler Konzerne ein- und ausgingen, gab es keine Warteschlangen. Gewonnen! , war der erste Gedanke, der sie bei seinem Anblick durchzuckte. In Sekundenbruchteilen fiel die Unsicherheit von ihr ab, denn der Mann, der ihr elegant die Hand küsste und sie mit einnehmendem Lächeln begrüßte, war ein sportlicher, geschmackvoll leger gekleideter Typ im besten Alter mit feinen, anziehenden Gesichtszügen. Der Typ, auf den sie spezialisiert war, ihr Typ, und er hatte gute Manieren.
    »Monsieur Vidal, es freut mich außerordentlich, dass Sie die Zeit gefunden haben, mich zu empfangen. Ich habe mir erlaubt, einen Tisch im Dolder zu reservieren.« Dass sie nichts von ihrer Bank erwähnte, gehörte selbstverständlich zum verschwiegenen Geschäft.
    »Großartig, ich liebe die Küche und die Aussicht dort.« Der Chauffeur verstaute das leichte Gepäck im Kofferraum und fuhr nach kurzer Instruktion los Richtung Zürich. Auf einen unauffälligen Wink Vidals verdunkelte sich das Fenster zum Fahrer und wurde völlig lichtundurchlässig. Sie waren unsichtbar und unhörbar für die Außenwelt. Er lächelte zufrieden und sagte: »Ich bin entzückt, dass Ihre Bank eine so bezaubernde Vertreterin geschickt hat.«
    »Wie Sie sehen, scheut unser Haus keinen Aufwand, um gute Kunden zu gewinnen«, antwortete sie spitzbübisch. Er lachte.
    »Bezaubernd und witzig, gefällt mir. Aber Sie haben sich sicher genaustens über mich informiert, nicht wahr?«
    »Sie besitzen ein Büro in Zürich, eine vor allem wegen ihrer Architektur bekannte Villa in St. Moritz, ein Schloss in England, eine fünfzig Meter Yacht mit eigener Crew, die zurzeit in Valletta ankert und pendeln häufig in Ihrem Privatjet zwischen Asien, den USA und Europa. Viel mehr konnten wir leider nicht in Erfahrung bringen.« Er grinste breit und schüttelte den Kopf.
    »Sie übertreiben. Es sind nur 45.7 Meter, 150 Fuß. Aber Valletta ist richtig. Ich glaube, wir werden uns gut verstehen. Cheers!« Er hatte zwei Gläser eisgekühlten Krug Clos du Mesnil eingegossen. Ein Feinschmecker war der Traumprinz neben ihr offensichtlich auch. Sie kannte diesen sündhaft teuren Champagner nur vom Hörensagen.
    »Auf gutes Gelingen«, erwiderte sie etwas zweideutig mit ihrem strahlendsten Lächeln. »Sie haben ausrichten lassen, dass sie um vierzehn Uhr weiterreisen müssen?«
    »Leider. Ich muss spätestens um sechs in St. Moritz sein. Wir bereiten eine kleine Feier für unser Poloteam vor.« Sie machte ein schuldbewusstes Gesicht und murmelte zerknirscht:
    »Ach ja, Sie besitzen eine Polomannschaft. Das habe ich ganz vergessen, entschuldigen Sie.« Er lachte laut auf.
    »Sie sind gut, wissen Sie. Ich frage mich, was Sie sonst noch heimlich über mich herausgefunden haben.« Nachdenklich schaute er ihr in die Augen, doch sie hielt seinem Blick ohne mit der Wimper zu zucken stand und wartete, bis er weitersprach. »Lassen Sie uns erst hineingehen. Am Tisch unterhält man sich gemütlicher.« Der Wagen hatte inzwischen vor dem Dolder Grand Hotel angehalten. Sie hatte einen Tisch am großen Fenster zum Golfplatz im ›The Restaurant‹ reserviert. Für die Terrasse mit dem unvergleichlichen Blick auf die Stadt Zürich und das Seebecken war es noch zu kalt in dieser Jahreszeit. Kaum hatten sie das Restaurant betreten, eilte der Chef de Service auf sie zu und begrüßte Vidal überschwänglich:
    »Ah, Monsieur Vidal, welche

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