Die Propeller-Insel
noch nie Gelegenheit gehabt, solchen Mengen von Medusen zu begegnen, denen verschiedne Naturforscher den Namen Oceanien gegeben haben. Diese Thiere haben nur ein sehr eingeschränktes Leben und grenzen mit ihrer halbkugligen Gestalt schon an die Pflanzenwelt. So beutegierig die Fische im allgemeinen sind, scheinen sie jene doch mehr als Blumen anzusehen, denn keiner bedient sich derselben als Nahrung. Die der heißen Zone des Stillen Weltmeers eigenthümlichen Oceanien zeigen sich ausschließlich in Gestalt vielfarbiger Schirme, die durchsichtig und mit Fühlfäden ausgestattet sind. Sie messen nicht mehr als zwei bis drei Centimeter. Wie viele Milliarden gehören also dazu, eine Bank von solcher Ausdehnung zu füllen!
Bei Erwähnung dieser Zahlen in Gegenwart Pinchinat’s antwortete dieser:
»Ei was, den steinreichen Notabeln von Standard-Island, bei denen die Milliarde Scheidemünze ist, kann das auch nicht besonders imponieren!«
Später am Abend hat sich ein Theil der Einwohnerschaft nach dem »Vorderkastell«, das heißt nach der Terrasse begeben, die die Rammspornbatterie überragt. Die Tramwagen sind überfüllt, elektrische Wagen strotzen von Neugierigen. Elegante Wagen haben die Nabobs der Stadt hierher gebracht. Die Coverley’s und die Tankerdon’s fahren in einiger Entfernung von einander. M. Jem grüßt nicht M. Nat, der auch wieder M. Jem nicht grüßt. Beide Familien sind übrigens vollzählig zur Stelle. Yvernes und Pinchinat haben das Vergnügen, mit Mrs. Coverley und deren Tochter, die sie stets freundlich empfangen, zu plaudern. Vielleicht ärgert sich Walter Tankerdon im Stillen, an der Unterhaltung nicht theilnehmen zu können, und vielleicht hätte auch Miß Dy Coverley gern mit dem jungen Manne gesprochen. Doch das hätte vielleicht einen hellen Aufruhr erregt und in den beiden Zeitungen der Insel wären darüber gewiß indiscrete Anschuldigungen zu lesen gewesen.
Nach Eintritt vollständiger Dunkelheit, so viel von einer solchen bei den sternenhellen Nächten der Tropenzone die Rede sein kann, scheint es, als ob das Meer bis tief hinunter aufleuchte. Die ganze Wasserfläche glänzt von phosphorescierendem Schein, von röthlichen oder blauen Lichtreflexen, die aber nicht nur auf den Wellenkämmen spielen, sondern vom Wasser selbst auszugehen scheinen. Dieser Lichtschein wird so stark, daß man dabei wie bei einem entfernten Nordlicht sogar lesen kann. Es sieht aus, als ob der Stille Ocean, nach dem er sich am Tage mit den Strahlen der Sonne gesättigt hatte, diese in der Nacht zurückerstatten wolle.
Bald schneidet der Bug von Standard-Island in die Masse der Akalephen ein und theilt sie längs des metallnen Ufers in zwei Ströme. Nach wenigen Stunden ist die Schraubeninsel von einem Gürtel von Noctiluken umschlossen, dessen Lichtquelle sich noch immer nicht verändert. Die Erscheinung glich einer Aureole, dem Strahlenkranze um die Bilder der Heiligen, wie man ihn um das Haupt Jesu Christi immer zu sehen gewöhnt ist. Das Phänomen dauert bis zum Anbruch des Tages, wo es beim ersten Frühroth endlich erlischt.
Sechs Tage später berührt das Juwel des Stillen Oceans den großen, gedachten Kreis unsres Sphäroids, der, wenn wirklich aufgezeichnet, den Horizont in zwei gleiche Hälften theilen würde. Hier kann man zu gleicher Zeit beide Pole des Himmels sehen, den nördlichen, der durch den flammenden Polarstern, und den südlichen, der durch das glänzende Kreuz, wie die Brust eines Soldaten, mit dem südlichen Kreuz geschmückt ist. Wir fügen hier ein, daß an den verschiednen Stellen des Aequators die Sterne jeden Tag eine zum Horizont perpendiculäre Kreislinie zu beschreiben scheinen. Will man stets gleich lange Tage und Nächte haben, so muß man sich nach Inseln oder Festländern begeben, die vom Aequator durchschnitten werden.
Seit seiner Abfahrt vom Hawaï-Archipel hat Standard-Island eine Strecke von etwa sechshundert Kilometern zurückgelegt. Es ist jetzt das zweitemal, daß es sich von einer Hemisphäre zur andern begiebt, wobei es die Linie das erstemal in der Richtung von Norden nach Süden und jetzt in umgekehrter Folge durchschnitt. Gelegentlich dieser »Passage« wird für die Bewohner von Milliard-City ein Fest veranstaltet. Im Tempel und in der Kathedrale sollen Gottesdienste abgehalten, im Park sollen Spiele aller Art veranstaltet werden. Von der Plattform des Observatoriums wird ein Feuerwerk abgebrannt werden, das bezüglich seines Glanzes mit dem der Sterne
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