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Die Prophetin vom Rhein

Titel: Die Prophetin vom Rhein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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dazu brauche ich Verbündete. Verbündete wie Euch. Falls Ihr mir diesen Gefallen erweist, würde ich als Erstes die Unabhängigkeit des Rupertsberges feierlich auf Pergament beurkunden. Dann wäret Ihr frei und hättet zudem in mir den treuesten Freund gewonnen - für alle Zeiten.«
    Ein Windstoß stob in den Kamin und ließ das Feuer aufflackern. Es muss lange dauern, bis ein Mensch verbrennt, kam es Hildegard unwillkürlich in den Sinn. Man zählt den Scheiterhaufen zu den schmerzhaftesten Todesarten, es sei denn, der Henker erbarmt sich rechtzeitig und drückt mit beiden Händen fest zu.
    Sie musste sich schütteln. Danach waren zu ihrer Erleichterung auch all die hässlichen Gedanken wie ein glühender Funkenregen zerstoben.
    »Das Gewebe der Welt ist niemals schadhaft«, erwiderte sie laut. »Denn der Schöpfer hat es ja mit großer Zuneigung gewoben. Und trotzdem findet sich darin jene Stelle, an welcher die Geschöpfe freiwillig ihren Ursprung anerkennen. Hätte Gott diese freie Zuneigung ausgeschlossen, so hätte er statt uns Menschen Willenlose vor sich. Und was bedeutete schon die Liebe von Unfreien?«

    Dudo wollte etwas einwerfen, doch Hildegards gebieterisch erhobene Hand verwehrte es ihm.
    »Gottes Liebe sehnt sich nach der freien Zustimmung seiner Geschöpfe - und das ist ihre Verletzlichkeit. Grenze ist also nicht die Allmacht, sondern die von innen aufgerichtete Grenze der Liebe. Doch leider sind unter den Menschen auch solche, die anstatt du und ich zu sagen, stets nur ich und ich allein sagen. Die nur nach dem eigenen Wohl trachten, der eigenen Macht, dem eigenen Fortkommen. Ihr Fall wird eines Tages tief und schrecklich sein, so wie der Fall aller Menschen, die sich anmaßend das eigene Gesetz geben, als seien sie ihr eigener Gott.«
    »So werdet Ihr mich also unterstützen?« Dudos Blick flehte um Zustimmung. »Ich könnte Euch mein Anliegen nicht inbrünstiger vorbringen!«
    Hildegard gelang ein abwehrendes Lächeln.
    »Das, was Ihr eben gehört habt, war lediglich eine Kostprobe dessen, was das Lebendige Licht mir zuletzt offenbart hat«, sagte sie. »Seit Wochen spricht es wieder zu mir in neuen Visionen, was mich überglücklich macht, mir gleichzeitig aber auch viel abverlangt. Ich bin nicht mehr jung. Körper und Geist verlangen nach Ruhe. Ihr dürft Euch jetzt zurückziehen, Kanonikus Dudo. Ich bin ganz sicher, wir sehen uns wieder.«

MAINZ - FRÜHLING 1157
    Sie lebte in einem neuen Haus, aber sie hatte kein neues Zuhause gefunden. Kein einziger Tag verging, an dem Theresa nicht daran erinnert worden wäre. Die Erfahrung, Willem so nah wie nie zuvor zu sein und ihn doch unerreichbar
zu wissen, raubte ihr den Schlaf und legte dunkle Schatten unter ihre Augen. Die karge Kost forderte zudem ihren Tribut. Das dunkle Haar knisterte nicht mehr wie früher, wenn sie es gebürstet hatte; die Haut spannte über den Wangenknochen. Wenn sie sich jetzt in ihrem halb blinden Spiegel betrachtete, den sie heimlich eingeschmuggelt hatte, erschienen ihr sogar die einst so aufmüpfig geschwungenen Lippen weniger voll.
    Nach Adrians verstörendem Einbruch in ihre Liebesnacht hatte sie mit allem gerechnet, mit Rasen und Wüten, mit Schimpfkanonaden und sofortigem Hinauswurf.
    Doch nichts von alledem war geschehen.
    Stattdessen hatte er sie beide nach einer angemessenen Frist, in der sie sich ankleiden und das zerwühlte Bett ordnen konnten, nach unten in den großen Versammlungsraum gerufen, den Kerzen verschwenderisch erleuchteten. Die exakt in sauberen Reihen aufgestellten Hocker starrten sie an wie stumme Vorwürfe. Plötzlich bereute Theresa, dass sie ausgerechnet heute Adas rotes Festkleid trug, das ihr auf einmal zu laut und ganz und gar unpassend erschien.
    Dann jedoch straffte sie sich und hob stolz den Kopf. Sie hatten nichts getan, für das sie sich hätten schämen müssen. Und verdiente ihr geliebter Willem nicht die schönste aller Bräute?
    Adrian van Gent, wie immer ganz in Schwarz, stand am Fenster, ihnen den sehnigen Rücken zugewandt, in gefasster Haltung, die gleichzeitig ausdrückte, wie viel Kraft sie ihn kostete. Lediglich ein leichtes Zucken seiner Schultern verriet, dass er ihr Eintreten bemerkt hatte.
    »Du weißt, in welchem Haus du dich befindest, Theresa?«, begann er, als das Schweigen im Raum unerträglich geworden war. »Ein Haus Gottes. Ein Haus mit eigenen
Regeln. Jeder, der es betritt, hat sich ihnen zu beugen. So lautet unser Gesetz.«
    »Gott lebt in jedem Haus«,

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