Die Prophetin vom Rhein
erwiderte sie furchtlos. »Das weiß ich von meiner verstorbenen Mutter. Und auch die Magistra vom Rupertsberg hat mich in meinen Klosterjahren nichts anderes gelehrt. Außerdem schützt Gott die Liebenden. Und das sind wir, Willem und ich: Liebende. So lautet unser Gesetz.«
»Du sagst, du liebst meinen Neffen?« Ganz langsam hatte van Gent sich herumgedreht. In seinen schwarzen Augen glomm ein seltsames Licht.
»Mit jedem Tropfen Blut, der in mir fließt. Und Willem liebt mich. Was also könnte daran falsch sein?«
Wie ein drohender schwarzer Schatten hatte er sich vor dem jungen Mann aufgebaut.
»Hast du deine Zunge verschluckt, Willem?«, sagte er barsch. »Oder lässt du jetzt lieber Weiber für dich reden?«
Willem räusperte sich. »Theresa hat recht«, sagte er stockend. »Mit jedem einzelnen Wort, das sie …«
»Schweig!« Für einen Augenblick schien Adrian van Gent nah daran, die Beherrschung zu verlieren, doch als er weitersprach, klang seine Stimme wieder erstaunlich gefasst. »Sie soll dir also nah sein, obwohl ich dich stets gebeten habe, deine Keuschheit um unseres Glaubens willen zu bewahren? Du kannst trotz allem, was ich dich seit Kindestagen reinen Herzens gelehrt habe, nicht auf sie verzichten, sondern möchtest, dass sie bei uns lebt, deine kleine Hebamme? Das kann geschehen. Unter einer Bedingung. Du kennst sie, geliebter Neffe.«
»Das ist nicht dein Ernst!« Willem war sehr blass geworden. »Nicht Theresa, bitte, nicht sie! Sie ist noch so jung und könnte doch niemals …«
Angstvoll flog Theresas Blick von einem zum anderen.
Wovon redeten die beiden? Es hörte sich an, als hätten sie schon viele Male darüber gestritten.
»Die Kirche der Liebe verlangt gewisse Opfer von ihren Gläubigen. Und das müsste Theresa schon werden, wenn sie hier mit uns leben möchte: eine Gläubige.«
Ihr Kopf schien plötzlich selbstständig geworden zu sein und begann langsam zu nicken.
»Die Kleine ist offenbar schlauer als du.« Adrians Stimme war schneidend. »Und dazu bereit, mehr als du aufzugeben. Beides sollte dir zu denken geben!« Sein Blick fiel auf eine dicke Kerze, die schon beinahe heruntergebrannt war. »Geh mit ihr nach nebenan und sag ihr, was wir von ihr erwarten! Und sei offen und klar dabei, das kann ich dir nur raten! Ich gebe dir so lange Zeit, wie diese Kerze noch brennt. Ist sie danach bereit dazu, so kann sie ihre Sachen holen und bei uns leben. Falls nein, werde ich dafür sorgen, dass ihr euch niemals wiederseht.«
An die einzelnen Worte, die angstvoll und zögernd aus seinem Mund gekrochen waren, konnte Theresa sich heute kaum noch erinnern. Niemals aber würde sie Willems zerquältes Gesicht vergessen, das mit jedem Zucken, jedem Lidschlag um Verzeihung bat für das, was er von ihr verlangen musste.
Zuerst glaubte Theresa, nicht richtig verstanden zu haben, so ungeheuerlich erschien ihr das Ansinnen. Als sie dann aber begriff, dass er es tatsächlich so meinte, verstummte sie. Bangigkeit kroch in ihr Herz; Hände und Füße wurden eiskalt. Den quälenden Gedanken an die Mutter und das tote Brüderchen konnte sie gerade noch Einhalt gebieten, dafür aber stand jene stürmische Nacht wieder vor ihr, in der Gerhild mit der kleinen Elsbeth niedergekommen war, so lebendig, als sei es erst gestern gewesen. Ihr unbedingtes Bestreben, das leblose Kind taufen zu
lassen, damit es nicht für immer verdammt war. Willems harsche Antwort, die ihr damals wie eine scharfe Klinge ins Herz gefahren war. Theresa hatte niemals mehr gewagt, ihn noch einmal darauf anzusprechen. Weil sie seine Erklärungen aus Angst und Feigheit lieber gar nicht hatte hören wollen?
Das, was man nun von ihr erwartete, erschien ihr wie die bitterste aller Strafen für dieses Versäumnis.
»Ich kann das nicht«, sagte sie schließlich. »Fordere alles von mir, Liebster - nur dieses eine nicht. Außerdem weiß ich so gut wie gar nichts darüber. Ich bin lediglich eine Lehrmagd, noch lange keine kundige Hebamme, wie ihr vielleicht glaubt!«
»Meinst du, das ist mir nicht bekannt?«, fuhr er auf. »Mein Mund hätte diese Worte in deiner Gegenwart nicht einmal aussprechen dürfen. Und doch musste er es. Ich tue dir nicht gut, Theresa. Niemals hätte ich dich berühren dürfen. Das alles hab ich dir schon einmal gesagt, aber du wolltest es nicht hören, und heute ist es gültiger denn je. Geh weg von mir, ich bitte dich! Verlasse dieses Haus, solange es noch möglich ist!«
»Ich hasse es, wenn du so redest«,
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