Die Prophetin vom Rhein
rief sie. »Hör endlich auf damit! Wir müssen klug sein und nachdenken, dann fällt uns bestimmt eine Lösung ein.«
»Wie könnte die schon aussehen? Adrians Schatten reicht weit.«
»Weglaufen«, sagte sie nach einer Weile. »Das sollten wir tun! Kinder werden schließlich überall geboren. Ich würde schnell wieder Arbeit bekommen. Wir müssten nicht einmal hungern, da bin ich ganz sicher.«
»Und du glaubst, das würde er zulassen - bei seinem einzigen Neffen? Seine Predigtreisen haben ihn berühmt gemacht. Die guten Christen haben inzwischen überall
Anhänger. Adrian würde uns schnell ausfindig machen. Und was dann mit uns beiden geschähe …« Willem barg sein Gesicht in den Händen.
»So sehr fürchtest du ihn?«, fragte sie leise.
»Ich fürchte ihn, und dennoch liebe ich ihn«, stieß er hervor. »Das weißt du doch. Jahrelang war er alles, was ich hatte.«
»Hör auf, dich an die Vergangenheit zu klammern! Jetzt hast du mich, Willem, mich!«, rief sie beschwörend und legte seine Hand auf ihr wild schlagendes Herz.
Er entzog sie ihr.
»Aber doch nur, wenn ich dich dazu bringe, etwas zu tun, das du aus tiefster Seele verabscheust. Ich wünschte, ich wäre tot. Dann hätte ich endlich Frieden - und du auch.«
»Das darfst du nicht einmal denken!«
Sie schlang ihre Arme um ihn und wiegte ihn wie ein Kind. Es war nichts Schlimmes daran, wenn ein Mann Angst hatte und eine Frau ihm Trost zusprach. Nicht anders hatte Ada, ihre tote Mutter, den Vater gehalten, am letzten Abend auf der heimatlichen Burg, bevor er das Kreuz genommen hatte und für immer aus ihrem Leben verschwunden war. Als kleines Mädchen hatte sie damals an der halb geöffneten Tür gestanden und dieses berührende Bild bis heute nicht vergessen. Jetzt lebte keiner mehr von beiden, und sie hatte zudem auch noch Gero verloren.
Einsamkeit sank wie ein schweres Gewicht auf Theresa nieder.
Zurück ins Kloster wollte sie nicht, zurück zu Eva durfte sie nicht, und Meline war ihr nach all den Monaten in Mainz noch immer reichlich fremd geblieben. Wenn sie Willem nun verließ, stand sie ganz allein in der Welt. War
es da nicht besser, wenigstens nach außen hin zu den guten Christen zu gehören und dem Anschein nach zu tun, was man von ihr verlangte?
Ein schier unmögliches Opfer hatte Adrian von ihr gefordert, doch vielleicht ließ er sich ja trotz all seiner Schläue überlisten. Sie konnte behaupten, sie habe alles versucht, was in ihrer Macht stand - und sei letztlich doch der Natur unterlegen. Was wussten Männer schon von dem, was im Körper einer Frau vorging? Selbst für erfahrene Wehmütter blieb jede Schwangerschaft ein Mysterium.
»Ohne dich hätte doch alles keinen Sinn«, flüsterte Theresa. »Wie könnte ich so auch nur einen einzigen Tag weiterleben?«
Willem brach in wildes, haltloses Schluchzen aus, während sie ihm über das Haar strich und gut zuredete.
So hatte Adrian sie schließlich gefunden und fragend angesehen. Als Theresa kurz nickte, hatte er die Abmachung seinerseits mit einem knappen Nicken bestätigt.
Damit war der Pakt besiegelt.
Ein paar Wochen lang hatte sie Ruhe. Sie holte ihre wenigen Habseligkeiten bei Meline ab, die zu ihrem Erstaunen ruhig, ja für ihre Verhältnisse fast freundlich reagierte, als sie ihr sagte, wo sie ab jetzt leben werde.
»Der junge van Gent hat es dir also angetan«, brummte sie. »Ein feiner, nobler Herr.«
»Du kennst Willem? Woher?«
»Nicht sehr gut.« Sofort war Meline wieder auf der Hut, wie Theresa es nicht anders von ihr kannte. Erst später fiel ihr auf, dass ihre zweite Frage unbeantwortet geblieben war. Meline sagte lediglich: »Er ist beliebt, im Gegensatz zu seinem Onkel, der als strenger Mann bekannt ist und keine Widerworte mag.« Dann begann sie so eifrig in der Grütze zu rühren, dass die Spritzer flogen. »Mit einer Heirat
wird es dann allerdings so schnell nichts werden«, sagte die Hebamme beiläufig. »Nach allem, was man so hört.«
Theresas erstaunten Blick quittierte sie mit einem Schulterzucken.
»Bin nicht so blind und taub, wie du vielleicht glaubst«, fuhr Meline fort. »Wer käme mehr in der Stadt herum als ich? Gibt kaum ein Haus, in dem ich noch nicht gewesen bin. Aber soll mir doch ganz egal sein, was die Leute so tratschen. Zum Reden brauchen sie schließlich immer etwas. Nur deiner heiligen Eva verraten wir vorerst besser nichts. Sonst kommt Vetter Josch ganz flugs auf seinem braunen Gaul angeritten und schleppt dich wieder zurück
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