Die Prophetin vom Rhein
Geblüt?«
»Woher soll ich das wissen?« Lyss zuckte die Achseln. »Irgendwann.«
»Komm schon, streng dich an, so schwer kann es doch nicht sein, dich daran zu erinnern!«
In die verweinten Kinderaugen trat ein Anflug von Trotz.
»Was spielt das jetzt noch für eine Rolle?«, fragte Lyss. »Es muss doch ohnehin sterben - und ich am besten gleich mit dazu!«
»Damit das nicht geschieht, solltest du dich erinnern.« Theresa sprach zu ihr wie zu einer Kranken, und genau genommen war das die junge Frau ja auch, die vor ihr stand: krank vor Angst und Verzweiflung.
Irgendetwas in Theresas Stimme schien Lyss erreicht zu haben.
»Es muss um Lichtmess gewesen sein«, flüsterte sie plötzlich. »Mutter hat es nur gemerkt, weil ich zweimal hintereinander vergessen habe, meine Monatsbinden auf die Leine zu hängen. Die Nachbarin hat genau aufgepasst und sie daraufhin angesprochen. Dann haben die beiden mich so lange ins Verhör genommen, bis ich alles gestanden habe … von Siman und mir … Danach ist Mutter sofort zum Diakon gerannt. Den Rest kennst du.«
Zehn, elf Wochen, das war weniger schlimm, als Theresa befürchtet hatte. Von Eva hatte sie gelernt, dass es gerade beim Mondfluss junger Frauen manchmal zu Schwankungen kommen konnte, und Lyss war so schmal und zart, dass sie jünger wirkte, als sie war. Vielleicht gab es ja doch noch die Hoffnung, dass alles sich auf natürliche Weise regeln würde.
»Sind deine Brüste größer geworden?«, fragte sie.
Lyss errötete.
»Ein wenig vielleicht«, sagte sie. »Aber genau kann ich es dir nicht sagen. Ich schau sie ja erst manchmal heimlich an, seitdem Siman gesagt hat, dass er von ihnen träumt. Vorher hab ich beim Baden und Anziehen immer weggesehen. So wie Mutter es mir beigebracht hat.«
»Ist dir häufig übel?«, fragte sie weiter.
Lyss nickte. »Eigentlich immer. Dabei hab ich dauernd Hunger. Aber vor lauter Angst krieg ich kaum noch einen Bissen runter.«
Das klang nicht gut. Theresa rang um weitere Fragen,
die sie wenigstens ein Stück weiterbringen würden. Ihre Verzagtheit wuchs. Warum hatte sie nicht besser aufgepasst, wenn Eva die Frauen über den Beginn ihrer Schwangerschaft ausgefragt hatte? Jetzt bereute sie, dass sie damals so oft von Willem geträumt hatte, anstatt aufmerksamer zuzuhören.
»Und morgens? Ist es da schlimmer, noch bevor du etwas gegessen hast?«
Ein Schulterzucken.
Theresa hatte nichts anderes erwartet. Erst ab der zweiten Schwangerschaft lernten Frauen, ihren Körper zu beobachten, hatte Meline vor einiger Zeit zu ihr gesagt. Beim ersten Mal seien sie meist dümmer als jede Kuh im Stall.
Meline! Sie musste geahnt haben, was ihre Lehrmagd im Haus am Brand erwartete, denn das Holzkästchen, das sie Theresa zum Abschied gegeben hatte, enthielt eine Auswahl verschiedenster Kräuter, die ein Einsetzen der Blutung fördern konnten: Malva sylvestris, Gentiana lutea, Centaurium erythraea, Veratrum album, Byronia alba und einiges mehr, was Theresa aus Evas Geheimvorrat, den diese ihr einmal ausführlich gezeigt hatte, bereits kannte. Die lateinischen Namen, die ihr angesichts von Malve, Enzianwurzel, Tausendgüldenkraut, weißer Nieswurz, Zaunrübe und all der anderen Pflanzen in dem kleinen Behältnis sofort in den Kopf schossen, ließen das gütige Gesicht von Schwester Benigna und ihren heiß geliebten Unterricht im Klostergarten vor Theresas innerem Auge wieder lebendig werden.
Eine Welle von Scham erfasste sie. Wenn die fromme Schwester ahnen könnte, welch böses Vorhaben mit ihren geliebten Pflanzen in die Tat umgesetzt werden sollte!
Theresa spürte, wie ihre Knie weich wurden.
»Gehört dein Siman eigentlich auch zur Kirche der Liebe?«, fragte sie. »Dann müsste ich ihn ja kennen.«
Das Mädchen schüttelte den Kopf.
»Zimmermann ist er«, sagte sie leise. »Ein ganz Tüchtiger. Und er geht so gern zur Messe! Siman weiß nicht, dass ich schwanger bin. Zuerst wollte ich ihm keine Angst einjagen, weil ich ja nicht sicher war und noch immer gehofft habe, ich hätte mich geirrt. Und später dann hat Mutter mir strengstens verboten, es ihm zu sagen.«
»Liebt er dich?«
»Gesagt hat er es. Und ich liebe ihn auch - so sehr!« Erneut schimmerten Tränen in den blauen Augen. »Aber heiraten darf ich ihn ja ohnehin niemals. Für die guten Christen ist die Ehe öffentlich begangene Unzucht. Das hab ich mindestens tausendmal zu hören bekommen. Deshalb leben meine Eltern ja auch seit Langem nicht mehr als Mann und Frau,
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