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Die Prophetin vom Rhein

Titel: Die Prophetin vom Rhein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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Was hab ich nicht schon alles gesehen! Kinder, die durch Notzucht und Gewalt entstanden, Kinder, gezeugt in einer Ehe ohne Liebe oder Hoffnung, Kinder, deren Mütter kurz vor dem Verhungern waren, Kinder, die nichts als Armut, Elend und Verzweiflung erwartete - müssen die wirklich alle mühsam das Licht der Welt erblicken, um wenig später in ebendieser Welt jämmerlich zu krepieren?«
    Sie hielt inne, deutete auf das Kästchen und seinen gefährlichen Inhalt.
    »Ich weiß, es ist eine schwierige Entscheidung, ein jedes Mal wieder von Neuem. Und ich weiß auch, dass die Pfaffen auf der Kanzel es verdammen und zu den Todsünden zählen. Aber sind sie vielleicht Frauen, die das alles durchmachen müssen? ›Sprich nie von dem Brunnen, aus dem du nicht trinkst!‹ - das würde ich diesen Schwarzröcken am liebsten zurufen, wenn ich sie über weibliche Wollust und ewige Verderbnis geifern höre. Manchmal kann ein kluges Kraut, geschickt eingesetzt, durchaus dazu beitragen, Leid zu verhindern.«
    Theresa spürte, wie ihre Kehle eng wurde. »Siebzehn ist sie«, sagte sie leise. »Hell wie ein Sommermorgen und schwer verliebt. Seit zehn oder elf Wochen hat sie nicht mehr geblutet. Ihr Schatz ist ein junger Zimmermann, der nicht zu den guten Christen gehört, und gemeinsam könnten sie doch fortlaufen und irgendwo ein neues …«
    »Eigentlich geht es doch um dich, Theresa«, fiel Meline ihr ins Wort. »Adrian van Gent lässt dich nur in seinem Haus bleiben, wenn du es machst. Richtig? Oder habt ihr
beiden Turteltäubchen schon einmal überlegt, genau das in die Tat umzusetzen, was du soeben vorgeschlagen hast?«
    »Willem ist sein einziger Neffe. Wie weit, meinst du, würde er ihn kommen lassen? Mir tut nur das Mädchen so leid. Ich kann genau spüren, wie sie …«
    Meline hatte ihre Handgelenke gepackt.
    »Schau mich an!«, verlangte sie. »Und merk dir gefälligst jedes Wort! Du musst lernen, so sachlich wie möglich zu bleiben, egal, ob ein Kind zur Welt kommt oder es eben nicht geboren werden soll. Ihr Schicksal ist es, nicht deines. Du bietest lediglich Hilfe an. Nur so kann unser altes Wissen wirksam werden. Hast du mich genau verstanden?«
    Theresa nickte beklommen.
    »Aber was soll ich jetzt denn nur tun?«, fragte sie. »Ich kenne diese Pflanzen, die du mir gegeben hast, sogar ihre lateinischen Namen könnte ich dir aufsagen, aber ich weiß doch nicht, welche ich nehmen soll und wie viel davon.«
    »Eva hat dich nicht unterrichtet?«, fragte Meline knapp.
    »Nicht darin. Ich weiß nur, dass sie auch solche Vorräte besitzt.«
    »Die heilige Eva - behält alles schön für sich und verrät der Lehrmagd lieber kein Sterbenswörtchen. Das passt zu ihr!«, murmelte die Hebamme. »Dann wird die sündige Meline dir jetzt ein paar Unterweisungen erteilen, die sehr hilfreich sein können.« Sie stieß einen tiefen Seufzer aus und öffnete das Kästchen. »Schade nur, dass du die Kleine nicht mitgebracht hast«, fuhr sie fort. »Ich sehe es immer zuerst an den Augen, ob eine schwanger ist oder nicht.«
    »An den Augen? Woran denn da genau?«
    »Ich sehe es eben - und basta.« Meline leerte ihren Becher. »Für Petersiliensamen ist es schon zu spät«, fuhr sie fort und hatte plötzlich jenen gesammelten Gesichtsausdruck, den Theresa schon während der Geburten an ihr gesehen
hatte. »Das wirkt nur halbwegs sicher in den allerersten Wochen. Und Garantie gibt es ohnehin keine. Das musst du wissen und allen gleich vorab sagen, die dich um Hilfe angehen. Ob nämlich etwas geschieht oder nicht, entscheidet allein Frau Fortuna mit ihrem unbestechlichen Rad.«
    Sie tippte auf ein anderes Kraut.
    »Dieses hier nimmst du. Als Zäpfchen gezollt, an drei Tagen hintereinander. Sie muss sich unbedingt schonen, das musst du ihr noch sagen. Und wenn alles glücklich überstanden ist, soll sie gefälligst vorsichtiger sein. Das ist keine Prozedur, der man sich ein paarmal hintereinander unterziehen kann, ohne Schaden zu nehmen. Und was dich betrifft, so kannst du mich immer wieder fragen, Mädchen - besser einmal zu oft als einmal zu wenig.«
    Theresa brachte es nicht über sich, noch nach der Muhme zu sehen, nicht mit diesem neuen Wissen, das wie ein prall gefüllter Sandsack auf ihr lastete. Wieder zurück im Haus am Brand, wich sie Adrians bohrenden Blicken aus und konnte nicht einmal Willems stummes Fragen ertragen, das sie in seinen Augen las. Schnell zog sie sich in ihre Kammer zurück und fiel irgendwann in einen unruhigen,

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