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Die Prophetin vom Rhein

Titel: Die Prophetin vom Rhein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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sondern nennen sich jetzt Bruder und Schwester.«
    Nun verspürte auch Theresa leichte Übelkeit. War das die Zukunft, die ihr mit Willem bevorstand?
    »Komm morgen wieder!«, beschied sie der verstörten Lyss. »Ich möchte erst noch Rat einholen, bevor ich dir etwas gebe.«
    Draußen stieß sie beinahe mit Adrian zusammen, der sich offenbar vor ihrer Kammer postiert hatte.
    »Nun?«, fragte er drohend. »Wirst du ihr helfen können?«
    »Ich denke, ja«, sagte sie, um ihn rasch loszuwerden. Inzwischen bedeutete seine Gegenwart für sie reinsten Gräuel. Wenn er nur endlich zu seinen Messen aufbrechen würde! »Aber ich muss noch einmal weg. Bin sicher bald wieder zurück.«
    »Das kann ich dir nur raten! Ich werde übrigens nicht eher abreisen, bis du die Angelegenheit in Ordnung gebracht hast«, sagte er barsch, als könne er ihre Gedanken lesen. »Der Keim des Bösen muss ausgemerzt werden, damit
alles sauber und rein ist. Nur so kann Satan von unseren Herzen ferngehalten werden.«
    Er redete, als ginge es um eine Ladung verdorbener Stoffballen, die ins Waschhaus gehörten. Theresas Abneigung gegen ihn wuchs. Sie presste das Kästchen an ihre Brust und lief los. Die Abendluft war feucht und kühl, doch sie war froh, ihr erhitztes Gesicht in den Wind halten zu können. Obwohl es nur ein paar Ecken waren, erreichte sie das Haus der Wehmutter atemlos.
    Bevor sie anklopfen konnte, stand Meline auf der Schwelle.
    »Gott sei Dank«, rief sie, als sie Theresa erblickte. »Ich hatte schon daran gedacht, dir eine Nachricht zukommen zu lassen. Weißt du, wer heute nach dir gefragt hat? Peter.«
    »Peter, der Küfer? Er war hier?«, fragte Theresa überrascht. »In Mainz?«
    »In voller Lebensgröße!« Ein prüfender Blick, der dem Kästchen galt, das Meline sofort erkannt hatte. »Er will wiederkommen, hat er gesagt, sobald er das nächste Mal in der Stadt ist. Dem hast du vielleicht den Kopf verdreht! Zum Glück ist mir gerade noch eine schwer kranke Wöchnerin eingefallen, der du angeblich einige Tage hilfreich zur Hand gehst. Zum Haus am Brand hab ich ihn besser nicht geschickt.«
    »Du hast mir neulich deine Hilfe angeboten«, sagte Theresa und schob alles, was Peter anbelangte, erst einmal weit, weit weg. »Und die brauche ich jetzt auch dringend. Kann ich auf dich zählen?«
    »Herein mit dir!«, sagte Meline. »Die Muhme freut sich bestimmt, wenn sie dich wieder zu sehen bekommt.«
    Plötzlich erschien Theresa die niedrige Stube gar nicht mehr so eng und schmuddelig wie früher. Nicht einmal den Fischgestank, der sie so gestört hatte, nahm sie wahr.
Oder kam das bloß von der scheußlichen Angst, die in ihr saß?
    Meline goss gewürzten Wein in zwei klobige Becher und schob ihrer Besucherin einen hin. Dann schaute sie Theresa aufmerksam an.
    »Wie weit ist sie?«, fragte sie. »Hat das Kind sich schon bewegt?«
    Ihre unverblümte Offenheit nahm Theresa fast den Atem. »Woher weißt du …«
    »Weil ich zwei und zwei zusammenzählen kann. Warum, glaubst du, holen die guten Christen sich ausgerechnet die Lehrmagd einer Hebamme ins Haus? Doch wohl kaum, damit sie ihnen sonntags das Essen brät!« Sie trank einen kräftigen Schluck und rülpste ausgiebig. Man konnte hören, wie sehr es ihr mundete. »Du bist nicht die Erste in der Stadt, zu der sie mit diesem Ansinnen kommen«, fuhr sie fort. »Offenbar halten sie es für das Schlimmste, wenn eine Frau ein Kind empfängt und zur Welt bringt.«
    »In ihren Augen wäre das ein Sieg Satans«, murmelte Theresa unglücklich. »Der böse Gott, der, wie sie glauben, alles Fleischliche erschaffen hat. Sonst töten sie ja nicht einmal Tiere, aus Angst, versehentlich die Seelen von Verstorbenen aufzuessen, aber hier …« Ein plötzlicher Gedanke ließ sie innehalten. »Bei dir waren sie also auch schon. Du hast ihnen geholfen - daher kennst du Willem und seinen Onkel.«
    Melines Gesicht war ernst geworden. »Es geht mir dabei nicht um die Männer«, sagte sie. »Den Frauen helfe ich. Ihnen stehe ich bei in Kindsnöten, und wie unterschiedlich die aussehen können, das wirst du auch noch erfahren.«
    »Aber du bist doch eine Wehmutter, die Leben schenkt«, beharrte Theresa. »Und genau das wollte ich immer lernen.«

    »Ach, Mädchen, was weißt du denn schon!« Die Hebamme war aufgesprungen und ging nun wie ein gefangenes Tier in der kleinen Stube auf und ab. »Das Schicksal kann so grausam sein, gebe Gott, dass du all diese Niederungen niemals am eigenen Leib erfahren musst.

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