Die Prophetin vom Rhein
Stillsitzen manchmal den Dienst verweigerte, verlor Gero die Beherrschung und streckte den anderen mit einem Fausthieb nieder, der diesem fast das Nasenbein zerschmetterte.
Freimut von Lenzburg ging mit seinem streitbaren Knappen streng ins Gericht: »Was wird der Herzog sagen, wenn er erfährt, dass seine Männer sich gegenseitig an die Gurgel gehen, anstatt die Salzfuhrwerke auf einen neuen Weg zu schicken, der ihm wertvollen Brücken- und Marktzoll einbringen soll?«
Gero schwieg, den blonden Dickschädel zu Boden gesenkt. Freimut sah die bläulichen Adern an seiner Schläfe pulsieren und fragte sich zum wiederholten Mal, was es seinen Schützling wohl koste, seinen Jähzorn zu unterdrücken, und was geschehen müsse, damit er ihm wieder freien Lauf ließ. So lange war der Junge, wie er ihn heimlich noch immer nannte, nun schon in seinen Diensten, aber kannte er ihn inzwischen wirklich?
Den einen Tag voller Mut und Tatkraft, konnte der Sohn des Reichsgrafen von Ortenburg schon am anderen Morgen
wie ein Häuflein Unglück dahocken, bis zum Rand angefüllt mit schwarzer Galle, die sich über den Nächstbesten ergoss, der ihm versehentlich zu nah kam. Die unselige Warterei in den Wäldern jedenfalls tat Gero nicht gut, ebenso wenig wie ihm selbst, das war Freimut schon vor geraumer Weile aufgegangen. Doch hatten sie eine andere Wahl?
Herzog Heinrich von Bayern und Sachsen verließ sich auf sie. Allein das zählte. Eigentlich hatten sie ihn ja längst in seinem neuen Herzogtum erwartet, und sein Besuch war auch mehrfach angekündigt gewesen, doch nun erwarteten den Vetter des Kaisers erst einmal andere Aufgaben. Nach Polen sollte es an Barbarossas Seite gehen, zu einem Kriegszug, an dem Freimut von Lenzburg liebend gern selbst teilgenommen hätte, anstatt hier im dunklen Grün Fuhrwerke zu einer neuen Route zu zwingen.
Dabei hatte er es nicht einmal so schlecht getroffen. Die neu errichtete Salzburg, wo er mit einigen Männern des Herzogs und einer kleinen Gruppe Bewaffneter aus der Gefolgschaft Ottos des Wittelsbachers einquartiert war, stellte sich als nicht gerade komfortabel heraus, aber sie hatten doch alles, was sie zum Leben brauchten: Schweine und Geflügel, Wälder voller Wild, die zur Jagd einluden, Mehl, trinkbares Wasser aus einer eigenen Zisterne, dunkles Bier, gebraut vom nahen Kloster der Ebersberger Benediktiner - vor allen Dingen aber Salz, das in dicken Rädern in den Gewölben der Burg lagerte. Die Tage ließen sich mit Probeschießen, Würfeln und Zechen halbwegs erträglich verbringen, wäre da nicht diese quälende Langeweile gewesen, die allen zu schaffen machte, während sie auf Fuhrwerke lauerten.
Gero hörte nicht auf, sich darüber zu beschweren. Obwohl Freimut es ihm schon mehrmals erklärt hatte, schien er Sinn und Zweck der im Wald errichteten Schranke, die
die Fuhrwerke am Weiterfahren hinderte, noch immer nicht ganz kapiert zu haben. Der Ritter war sogar mit ihm an die Isar geritten, damit der Junge mit eigenen Augen die neue Siedlung anschauen konnte, die sich nach und nach am Fuß des Mönchsberges ausbreitete.
»Das soll eine Stadt sein?« Angeekelt hatte Gero auf die niedrigen Dächer der Bauernhöfe und Lagerhäuser gestarrt. »Ist ja kaum größer als ein Dorf. Dagegen ist ja selbst das kleine Bingen riesig.«
»Was noch nicht ist, wird aber werden«, hatte Freimuts Antwort gelautet. »Salz, das weiße Gold, besitzt große Macht. Wo immer es gehandelt und gelagert wird, siedeln Menschen sich an, denn ohne Salz könnten wir alle nicht leben. Dieses Munichen wird wachsen, glaub mir! Schon in wenigen Jahren wirst du es kaum mehr wiedererkennen.«
»Warum begnügt der schwarze Herzog sich eigentlich nicht mit einer anständigen Fähre, die ihm doch auch reichlich Geld einbringen würde?«, fragte Gero weiter. »Über den Rhein führen vielerorts Fähren, und keiner, den ich kenne, beschwert sich darüber.«
Er senkte den Kopf, weil ihm dabei Theresa in den Sinn gekommen war. Früher hatte er sie stets im strengen Habit der frommen Schwestern gesehen, wenn er an sie dachte, doch neuerdings wollte ihm das nicht mehr so recht gelingen. Ob sie noch immer im Kloster zu Bingen lebte? Oder hatte das Schicksal inzwischen die Schwester wie ihn hinaus in die Welt geschleudert?
»Weil der Rhein ab seinem Mittellauf zu breit für Brücken ist und die Isar in vielen Monaten zu reißend für einen Fährbetrieb«, erwiderte Freimut geduldig. »Außerdem geht es nicht um den Brückenzoll
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