Die Prophetin vom Rhein
Arnold sitzt nicht so fest auf seinem Stuhl, wie es ihm vielleicht lieb wäre. Hätten die Mainzer Bürger sonst gewagt, gegen ihn aufzustehen, als er die Heeressteuer von ihnen forderte? Die Rädelsführer hat er hart bestrafen lassen und damit scheinbar wieder für Ruhe gesorgt, aber in der Stadt schwelt es noch immer. Wenn du mich fragst, es könnte jeden Tag wieder losgehen! Doch sollte er tatsächlich stürzen, so folgt ihm ein neuer Erzbischof. Und dann wird uns erst recht nichts passieren.«
Theresa schob sich eine Haarsträhne hinters Ohr.
»Was du nicht alles wissen willst! Wieso hat die Magistra uns dann mit ihm gedroht?«
»Weil sie immer und überall das letzte Wort haben muss«, keifte Magota. »Und sich einbildet, die ganze Welt warte nur auf das, was an angeblicher Weisheit aus ihrem Mund fließt. Seherin lässt sie sich nennen und Prophetin vom Rhein, dass ich nicht lache! Eine Heilige schon zu Lebzeiten will sie sein und ist doch in meinen Augen nichts als eine eitle, geldgierige Heuchlerin, die nach wie vor auf meiner Mitgift hockt und nicht begreifen will, dass ihre Zeit vorbei ist.« Sie biss sich auf die Lippen, als habe sie zu viel verraten.
Über ihren Zornesausbruch musste Theresa nachdenken, als sie zum Einkaufen auf den Markt ging. Magota, die sich sonst immer um diese Tätigkeit riss, hatte über Kopfschmerzen geklagt und ihrer Konkurrentin den Korb wortlos ausgehändigt. Die wenigen Zutaten für den kargen Speiseplan waren schnell beisammen: einige Frühlingskräuter, um den Getreidebrei würziger zu machen, Gemüse für die Suppe, ein Töpfchen Honig für das harte Gebäck, das ohne die Zutaten Milch und Eier trotz aller Sorgfalt bei der Zubereitung nahezu ungenießbar war. Theresas Körper schrie geradezu nach Abwechslung. Sie, die sich nie besonders viel aus Essen gemacht hatte, träumte inzwischen manchmal von saftigen Braten, fetttriefenden Eierkuchen und frischem Brot, dick mit Schmalz bestrichen.
Unwillkürlich hatte sie ihre Schritte zu den Fischständen gelenkt. Sie war spät dran, und das Angebot war dementsprechend mager, aber nach einigem Suchen erstand sie zwei stattliche Barben, drei kleine Stinte, deren silbrige, durchscheinende Körper fast zu schade zum Essen waren, sowie einige Brachsen, die im Sonnenlicht wie Blei glänzten. Adrian würde die Hände über dem Kopf zusammenschlagen
ob dieser maßlosen Verschwendung - aber er musste ja auch nicht mit knurrendem Magen schwere Backtröge stemmen.
Die warme Sonne schien auf ihren malträtierten Rücken, die Fischersfrau machte einen kleinen Scherz, und Theresa lachte leise, da zupfte sie auf einmal jemand grob am Tuch.
Sie fuhr herum - Peter!
Hatte er immer schon so ausgesehen, so plump, aufgeschwemmt und verschwitzt? Das wäre dann ihre Zukunft gewesen, durchfuhr es sie. Oder hatte erst ihre Abfuhr ihn zu dem gemacht? Ob er inzwischen ein Weib gefreit hatte, fragte sie lieber erst gar nicht, denn so, wie er vor ihr stand, konnte die Ehe ohnehin nicht glücklich sein. Sein Gesicht verriet üppigen Weinkonsum, die Wangen wirkten teigig, unter den Augen hatte er kleine schlaffe Beutel, und eine rötliche Knollennase kündigte sich an. Dinge, die Theresa wehmütig stimmten, hatte es doch durchaus Zeiten gegeben, da sein Anblick ihr Herz erfreute.
Theresa nahm ihren Korb und wollte möglichst schnell die noch immer gut besuchten Stände hinter sich lassen, wo, wie sie vermutete, neugierige Ohren bereits auf Lauschposition gingen.
»Jetzt hab ich dich also endlich!« Peter musste weit ausholen, um mit ihr Schritt zu halten, so schnell ging sie.
»Das hattest du noch nie, mein Lieber. Wieso lauerst du mir auf?« Ihre Stimme war ruhig, aber sie konnte nicht verhindern, dass ihr Herz auf einmal hart gegen die Rippen schlug.
»Um mit eigenen Augen zu sehen, ob es stimmt, was die Leute in Bingen sagen: dass du ein Ketzerliebchen geworden bist. Eine, die ungeniert mit dem Neffen des Tuchhändlers herumhurt - oder vielleicht sogar mit allen beiden.«
Theresa ging noch rascher. Er ebenfalls.
»Eva lässt dir schöne Grüße ausrichten«, begann er erneut, und obwohl Theresa wusste, dass er log, um ihr wehzutun, wünschte sie sich doch für einen Augenblick, dass es genau so wäre. »So eine törichte Lehrmagd wie dich hatte sie allerdings noch nie: Lässt sich lieber öffentlich zur Hure machen, anstatt eine anständige Hebamme zu werden!«
Theresa blieb stehen. »Es ist mir gleichgültig, was du über mich denkst«,
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