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Die Prophetin vom Rhein

Titel: Die Prophetin vom Rhein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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Art Schutz. »Meine Seele besaß leider keinen schützenden Zaun. Das Böse war tief in mich eingedrungen, dafür hatte auch meine Mutter gesorgt, die ebenfalls davon befallen war. Und wäre da nicht eine mutige junge Frau gewesen, so gäbe es meine kleine Theresa heute gar nicht. Ihr habt über die Seele gesprochen, was aber wäre sie, wenn der Leib sie nicht schützend umhüllte? Also kann der Leib doch so schlecht gar nicht sein, wie man es mir so lange weismachen wollte.«
    »Theresa?« Hildegard schien plötzlich ihre Erschöpfung vergessen zu haben. »Dein Kind heißt Theresa?«
    »Ihre Namenspatin weiß nichts davon«, sagte die junge Frau. »Aber sie hat uns das Leben gerettet. Uns allen dreien.«
    Inzwischen war ein Mann hinter sie getreten. Seinen kräftigen Schultern und der gegerbten Haut sah man den Handwerker an, der auch im Freien zu arbeiten gewohnt war. Einige Späne auf dem groben Stoff seiner Tunika verrieten den Beruf.
    »Zimmermann Siman«, stellte er sich lächelnd vor. »Und das ist meine Frau. Hat Lyss schon verraten, dass sie wieder
schwanger ist? Nach Johanni soll unser zweites Kleines zur Welt kommen.«
    »Was tut das hier zur Sache?« Lyss warf den dicken blonden Zopf nach hinten, als würde er sie auf einmal stören.
    »Eine ganze Menge! Denn seit das neue Kind in deinem Bauch wächst, schmeckt Theresa die Milch aus deinen Brüsten nicht mehr, und deshalb plärrt sie auch ständig los. An Ziegenmilch aber will sie sich einfach nicht gewöhnen.« Er grinste. »Die Sturheit muss sie von ihrer schönen Mutter geerbt haben.«
    »Ihr zwei stammt nicht zufällig aus Mainz?«, mutmaßte Hildegard, die plötzlich spürte, wie die feinen Härchen auf ihren Armen sich aufrichteten, als hätte ein kalter Hauch sie gestreift.
    »Nein«, riefen beide wie aus einem Mund. Jetzt schaute sogar der eben noch so selbstbewusste Zimmermann unbehaglich drein. »Da sind wir noch nie gewesen«, fügte er schnell hinzu und starrte zu Boden.
    »Schade!« Plötzlich schien die Magistra vor Erschöpfung zu taumeln. »Denn in Mainz kannte ich eine junge Wehmutter namens Theresa mit ungewöhnlichen Talenten …«
    »Du kannst sie einfach nicht vergessen«, sagte Schwester Hedwig später besorgt, als ihre Rösser die Steigung des Kaulberges nahmen, von dem aus das neu errichtete Kloster St. Maria und St. Theodor hinunter auf die Stadt an der Regnitz schaute. »Aber das solltest du, geliebte Mutter! Es macht dich doch nur traurig, alte Erinnerungen wieder und wieder hervorzukramen. Theresa hat ihre Entscheidung getroffen. Mit allen Konsequenzen. Damit wirst du dich abfinden müssen.«
    Blass und erschöpft wandte die Magistra sich ihr zu. »Wozu, glaubst du, nehme ich das alles auf mich, diese
Strapazen und ja, auch die Enttäuschungen, die dabei leider nicht ausbleiben, während ich doch jeden Morgen friedlich und geschützt auf dem Rupertsberg aufwachen könnte? ›Das Weib schweige in der Kirche‹ - glaubst du nicht, ich könnte nach dem Gebot des großen Paulus sehr viel ruhiger und ausgeglichener leben?«
    Ihre Hand streichelte die weiche Kruppe des Pferdes.
    »Aber ich muss mich einmischen, damit Menschen wie Theresa und andere dem Bösen nicht erliegen, dazu hat das Lebendige Licht mich auserwählt. Es geht nicht an, dass Verblendete wie diese guten Christen - allein der Name ist ein einziger Hohn! - die Wahrheit unseres heiligen Glaubens antasten! Du sieht ja, welches Leid sie damit über die Menschen bringen.«
    »Und wenn diese Frau Theresa gar nicht gekannt hat - unsere Theresa?«
    »Sie hat gelogen, hast du das nicht bemerkt? Sie kennt Theresa, aber eingestehen würde sie das niemals, so groß ist noch immer ihre Angst. Um jede einzelne Seele geht es, um die, die bereits vom Weg abgekommen ist, genauso wie um die, die in Gefahr schwebt, es zu tun. Deshalb habe ich mich aufgemacht, um öffentlich aufzurütteln und den Finger auf die Wunden zu legen, die andere lieber zugedeckt lassen würden. Und ich werde damit fortfahren, das schwöre ich bei Jesus Christus, unserem Herrn, solange dieser müde, alte Körper es mir gestattet.«
    Beide schwiegen. Gestern hatten sie auf dem Michelsberg Quartier genommen, wo seit Kurzem dem großen Benediktinerkloster eine kleine Klause mit einem Dutzend frommer Schwestern angegliedert war. Hildegard wusste, dass Hedwig dort auch heute gern wieder die Nacht verbracht hätte, aber es gab gewichtige Gründe, die sie ins Zisterzienserinnenkloster führten. An der Pforte von St.

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