Die Prophetin vom Rhein
flüsterte die Muhme mit spitzbübischer Miene, während das Mädchen Schüssel und Löffel hinüber in die Küche trug. »Dir kann sie allerdings bei Weitem nicht das Wasser reichen.« Ihr eben noch wässriger Blick wurde plötzlich scharf. »Müde siehst du aus, Theresa«, sagte sie. »Und ein wenig traurig. Wette, daran ist dein Schätzlein schuld. Muss ich denn mit ihm schimpfen?«
»Er hat es auch nicht gerade leicht«, wehrte Theresa mit bedrücktem Lächeln ab.
»Er soll dich glücklich machen«, beharrte die Muhme. »Dazu ist er schließlich da.«
Meline erteilte der jungen Magd zahlreiche Aufträge, die sie für Stunden quer durch die Stadt hetzen würden. Zumindest daran hatte sich also nichts geändert. Dann stand sie auf und begann am Herd zu hantieren.
»Ich könnte Lisbeth nach Hause schicken«, sagte sie plötzlich, ohne Theresa anzusehen, »für den Fall, dass du es dir inzwischen anders überlegt hast und doch lieber zurückkommen möchtest. Wenn du rechtzeitig Bescheid sagst, ließe sich das durchaus einrichten.«
»Wie kommst du denn darauf!«, rief Theresa.
»Weil ich doch sehe, wie sehr es dich jedes Mal quält, wenn du mich wieder wegen der geheimen Mittel um Rat fragen musst. Eine Weile dachte ich, du hättest dich vielleicht halbwegs daran gewöhnt. Aber da habe ich mich wohl geirrt.«
» Daran werde ich mich nie gewöhnen.« Theresa musste sich plötzlich räuspern.
Der seidene Faden, an dem ihr ganzes Glück hing - wie zerschlissen war der inzwischen! Gestorben war wenigstens noch keine dabei, das war das einzig Tröstliche, woran sie sich klammern konnte. Bislang waren es drei Frauen gewesen, weniger, als sie zunächst befürchtet hatte, aber noch immer zu viele. Das Gros der guten Christen schien sich an das strenge Gebot der Keuschheit zu halten. Anscheinend taten diese gefallenen Weiber all das, was Adrian von ihnen verlangte: öffentliche Beichte, Reue, dann der Besuch bei Theresa; sie sollte sie von der ungewollten Frucht befreien, die den Irrweg der Seele im verdammten Fleisch nur unnötig verlängern würde.
Aber was ging wirklich in diesen Frauen vor, während sie darauf warteten, dass die heimlichen Kräuter ihre Wirkung zeigten? Nach außen hin machten sie ein demütiges Gesicht, als besäßen sie keinen eigenen Willen. Später zeigten sie sich dann erleichtert, dass die Gemeinde sie wieder gnädig aufnahm. Sogar den schrecklichen Weg zu jenem verlassenen Friedhof traten sie ohne Murren oder Klagen an. Ihre wahren Gefühle jedoch hatte bislang keine von ihnen Theresa gegenüber offenbart.
Unauffällig lockerte sie ihren Gürtel. Die abgestandene Luft in der Stube bekam ihr heute ganz und gar nicht.
»Nur eine hat sich in all der Zeit getraut, das Kind zu behalten und wegzulaufen«, fuhr Theresa in ihrem Bericht fort. »Die kleine Lyss mit den blonden Zöpfen - ich würde zu gern wissen, wie es ihr und ihrem verliebten Zimmermann ergangen ist!« Sie rieb ihre kalten Hände aneinander.
»Hat Adrian van Gent denn nichts dagegen unternommen?«, kam es vom Herd. »Sieht ihm gar nicht ähnlich.«
»Am liebsten hätte er mich wohl lebendig in der Luft
zerrissen. Und natürlich hat er versucht, mir die Schuld zuzuschieben. Aber ich hab mich einfach dumm gestellt. So hat er nichts aus mir herausbekommen, obwohl er immer wieder nachgebohrt hat. Nicht ein Wort hab ich ihm verraten.«
»Die beiden haben den Mut besessen, den ihr nicht aufbringen könnt, dein Willem und du.« Meline stellte einen dampfenden Krug auf den Tisch. »Weshalb eigentlich nicht?« Prüfend und nachdenklicher als sonst ruhten ihre dunklen Augen auf Theresa. »Ihr liebt euch doch. Oder hat sich daran inzwischen etwas geändert?«
»Natürlich nicht!«, fuhr Theresa auf.
»Warum seid ihr dann so feige?«, fragte Meline.
»Vielleicht, weil Willem von Kindheit an nicht anders gewohnt ist, als zu gehorchen. Manchmal wagt er sogar winzige Schritte in Richtung Freiheit. Doch bevor es ernst werden könnte, rennt er jedes Mal schnell wieder zurück und duckt sich erneut unter Adrians Fittiche.«
»Und du, Theresa? Du wolltest Wehmutter werden, erinnerst du dich noch, mit Leib und Seele? Dieses Haus am Brand - ist das wirklich das Leben, das du führen willst?«, fragte sie eindringlich. »Denk noch einmal gründlich nach!«
»Ohne Willem kann ich nicht sein«, erwiderte Theresa. »Er braucht mich und ich ihn, das weiß ich. Das bedeutet, ich muss mich ihren Regeln fügen, was mich andererseits halb um den
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