Die Prophetin vom Rhein
…«
Ein Klopfen an der Tür unterbrach ihn. Ein Bewaffneter kam herein und flüsterte Arnold etwas zu.
Das müde, gelbliche Gesicht wirkte plötzlich erleichtert.
»Herzog Heinrichs Männer!«, sagte er. »Er hat tatsächlich Wort gehalten. Unter ihrem Schutz fühle ich mich
gleich sehr viel sicherer. Jetzt kann ich den Mainzern entgegentreten - sobald meine Bedingungen zur Gänze erfüllt sind.«
Es hatte keinen Sinn, sich weiter anzustrengen, er würde ja doch nicht zuhören. Arnolds Aufmerksamkeit galt nun ausschließlich Brünnen, Schwertern und Speeren. Hildegard küsste den Bischofsring und ging. Richte dich also zu Gott empor, denn deine Zeit kommt schnell - die Botschaft des Lebendigen Lichts erschien ihr plötzlich in den blanken Himmel geschrieben.
Der Innenhof hatte sich plötzlich in ein Heerlager verwandelt. Die meisten Männer waren jung und schwer bewaffnet. Hildegard konnte durchaus verstehen, dass deren Anwesenheit den Erzbischof zuversichtlicher machte. Ihr dagegen bereitete so viel kampfbereites Eisen eher Unbehagen. Sie war schon vor dem Tor angelangt, als ihr Blick auf einen jungen Ritter fiel, der sie fassungslos anstarrte. Zuerst wollte sie die Stirn runzeln und ihn zornig anfunkeln, um ihm zu zeigen, was sie von solch einer Unverfrorenheit hielt, dann aber zögerte sie, weil etwas in ihr anschlug.
Diese blitzblauen Augen. Das zerzauste blonde Haar. Er war so viel größer und um einiges stattlicher geworden, aber waren seitdem nicht auch viele Jahre ins Land gegangen?
»Gero?«, fragte sie zögernd. Er konnte kein Ritter sein - und doch stand er vor ihr in Gambeson und Brünne, mit gegürtetem Schwert.
Der junge Mann erblasste und wich unwillkürlich zurück. Neben ihm stand ein dunkelhaariger Ritter, einige Jahre älter, der ihn besorgt musterte.
»Gero von Ortenburg?«, ergänzte sie ihre Frage. »Gero - das bist du doch!«
»Wo ist meine Schwester?«, rief Gero. »Ist sie noch immer hinter Euren Klostermauern begraben?«
»Ich wünschte, dem wäre so«, erwiderte Hildegard. »Aber Theresa hat sich leider für einen gefährlichen Weg entschieden, der sie womöglich hinter Kerkermauern geführt hat.«
»Was soll das heißen?« Gero kam langsam näher. Auch die anderen Umstehenden wurden langsam aufmerksam.
»Komm auf den Rupertsberg!«, sagte Hildegard leise. »Dann wirst du mehr erfahren.«
»Ins Kloster? Damit Ihr mich noch einmal rauswerfen könnt? Ich denke gar nicht daran!«, rief Gero patzig. »Wir sind gekommen, um den Erzbischof von Mainz zu schützen - und genau das werden wir auch tun.«
»Im Jakobskloster zu Mainz könnte sie gefangen sein«, flüsterte Hildegard und musste dabei ihren ganzen Stolz vergessen. »Tief unten, wo die alten Verließe sind. Rette sie, Gero! Ich hoffe beim Allmächtigen, es ist dafür noch nicht zu spät.«
MAINZ - JUNI 1160
Die einen hatten längst gestanden, allerdings diejenigen, auf die es ihm weniger ankam, und dass die anderen weiterhin verstockt blieben, brachte Dudo von Tag zu Tag mehr in Rage. Er spürte, wie ihm die Zeit davonlief, denn die gefangenen Ketzer im Jakobskloster waren ja nur das eine seiner Probleme. Das weitaus größere und das, was ihn von der Erfüllung seiner ehrgeizigen Träume trennte, hieß Arnold von Selenhofen; der hockte seit Wochen in St. Alban, als sei er dort festgewachsen.
»Rede endlich!« Dudo gab der jungen Frau vor ihm einen Stoß. »Die Dürre hat dich der schwersten Vergehen beschuldigt.
Wenn du den Mund nicht aufmachst, kann es nur noch schlimmer werden.«
Theresa starrte zu Boden. Die langen Wochen im Loch hatten sie mürbe und dünnhäutig gemacht, Hunger und Schmutz ein Übriges getan. Inzwischen war sie an Ratten und Ungeziefer gewöhnt. Sie roch nicht einmal mehr, wie sehr sie stinken musste.
Was wollte er noch von ihr?
Sie hatte niemals zu den guten Christen gehört. Allein ihre Liebe zu Willem hatte sie zu ihnen geführt und dazu gebracht, bei ihnen auszuharren. Sie durfte nicht an den Geliebten denken, sonst würde sie nur wieder zu weinen beginnen, und das wollte sie nicht vor diesem Kirchenmann. Sollte er doch poltern und drohen! Sie hatte ihr Kind verloren. Was konnte sie noch berühren?
Alles in ihr war längst gestorben. »Du hast die ungeborenen Kinder getötet.« Dudos Worte waren wie Peitschenhiebe. »Und du hast sie, um dein Verbrechen zu verbergen, anschließend auch zu diesem verfluchten Ort gebracht, den ihr den ›Friedhof der verlorenen Kinder‹ nennt
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