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Die Prophetin vom Rhein

Titel: Die Prophetin vom Rhein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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Stachel, von dem ich mich eines Tages befreien werde.

Drittes Buch
    ERNTEN
    1161 BIS 1163

Acht
    TRIER - HERBST 1162
    »Pressen!«, rief Theresa. » Pressen !«
    Das Gesicht der Gebärenden verzerrte sich vor Anstrengung. Schweiß stand in hellen Tropfen auf ihrer Stirn, die Theresa mit einem Tuch abtupfte, sobald die Wehe vorüber war.
    »Ich kann nicht mehr!«, stöhnte die Frau. »Meine Kraft ist …«
    »Du ahnst nicht einmal, welche Kräfte noch in dir stecken«, sagte Theresa und träufelte ein paar Tropfen Wasser auf die aufgesprungenen Lippen. »Komm schon, Hanna, du hast es bald geschafft! Ich kann das helle Köpfchen schon sehen.«
    Die nächste Wehe schob das Kind heraus, und sofort ertönte ein lauter, empörter Schrei.
    »Was ist es?«, rief Hanna. »Ein Sohn?«
    »Ein rosiges, gesundes Mädchen«, sagte Theresa. Sie klemmte die Nabelschnur ab, rieb das Kind trocken, hüllte es in warme Tücher und legte es neben seine Mutter.
    »Sie hat Simons Nase. Und seine blauen Augen!«, sagte Hanna aufgeregt. »Hast du gesehen, wie wunderschön sie ist?«
    »Wie hätte sie auch hässlich werden können bei dieser Mutter?«, erwiderte Theresa lachend. »Es ist ja noch nicht einmal dunkel geworden, so schnell ist es gegangen. Siehst du, deine ganze Angst war umsonst. Ich hab
dir gleich gesagt, dass dir die Geburt nicht schwerfallen wird.«
    »Danke, dass du gekommen bist! Die jüdische Hebamme …« Hannas Lächeln war verschwunden. »Es zieht plötzlich wieder so jämmerlich in meinem Leib, als würde es noch weitergehen«, sagte sie. »Aber mein Kind ist doch schon da!«
    »Die Nachgeburt«, sagte Theresa. »Manchmal kann es schmerzhaft sein, bis sie ausgestoßen ist.«
    Doch als ihre Hände behutsam nach unten tasteten, berührten sie etwas Faustgroßes, das sich leicht herauswölbte und im nächsten Augenblick mit einem Schwall platzte.
    Fruchtwasser lief heraus.
    Vor Überraschung blieb Theresa zunächst stumm, bis sie endlich ihre Sprache wiedergefunden hatte.
    »Da kommt ja noch ein Zweites!«, rief sie. »Pressen, Hanna, pressen!«
    Mit dem Gesicht nach unten wurde ein kleiner Junge geboren, der stark röchelte, Fruchtwasser spuckte und eine Art dünnes Miauen von sich gab, bevor er einen Klaps auf den Hintern bekam und endlich schrie. Auch er wurde abgenabelt und gesäubert, musste jedoch kräftiger und länger abgerieben werden als sein Schwesterchen, bis auch seine bläulichen Händchen und Füßchen rosig geworden waren, und er Hanna warm eingehüllt in den anderen Arm gelegt werden konnte.
    »Da hast du deinen Sohn«, sagte Theresa. »Auch er ist ganz gesund.«
    Plötzlich stand Simon in der Tür, ein Bär von einem Mann, dessen bärtiges Gesicht vor Freude zu zerfließen schien. Hinter ihm schob sich Joshua ins Zimmer, ein schma ler, dunkler Junge mit scheuen Mandelaugen.
    »Lebt sie noch?«, hörte Theresa ihn angstvoll flüstern. »Oder ist Hanna etwa auch …«

    Sie packte den Jungen und zog ihn in eine feste Umarmung.
    »Natürlich lebt sie«, sagte sie. »Und du Glückspilz hast gerade auf einen Schlag zwei neue Geschwisterchen bekommen. Ist das etwa kein Wunder?«
    Der Junge schien ihre Wärme zu genießen und ließ sich die schützenden Arme nur allzu gern gefallen, bis er sich auf einmal abrupt aus ihnen befreite.
    »Mama war auch nicht gleich tot.« In seinem Gesicht stritten Hoffnung und Angst. »Aber dann hat sie plötzlich nicht mehr zu bluten aufgehört, und das Kleine …«
    Sein Blick glitt zu den besudelten Leinentüchern, nicht gerade der passende Anblick für einen furchtsamen Zehnjährigen, wie Theresa fand, vor deren Augen plötzlich wieder die bedrückenden Bilder jener Nacht im Kloster standen, die sie bis heute verfolgten. Deshalb hatte sie sich entschlossen, Wehmutter zu werden. Wie glücklich sie sich schätzen konnte, jetzt endlich wieder Leben zu ermöglichen, anstatt es verhindern zu müssen!
    »Ihr Männer geht jetzt am besten hinaus.« Resolut schob sie Vater und Sohn aus der Gebärstube. »Und sobald alles ganz zu Ende ist, rufe ich euch. Einverstanden?«
    »Aber wenn Hanna doch …«, hörte sie Joshua draußen noch einmal aufbegehren, bis der väterliche Bass ihn zum Verstummen brachte.
    Jetzt wäre es eigentlich Zeit für die Nachgeburt gewesen, doch die Wöchnerin schien keinerlei Kontraktionen zu haben. Ihr verklärter Blick glitt von dem Mädchen in ihrem rechten Arm zu dem Jungen, der links von ihr lag.
    »Meine Judith!«, flüsterte sie. »Und mein

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