Die Prophetin vom Rhein
leicht den schmalen Kopf.
»So redet!«, sagte er. »Ihr habt mich neugierig gemacht, worauf Ihr Euch etwas einbilden könnt, denn das haben bislang außer Seiner Majestät nur wenige Männer zustande gebracht.«
Dudo schickte ein stummes Stoßgebet zum Himmel. Dann begann er, seine Vorschläge sorgfältig auszubreiten.
TRIER - SPÄTHERBST 1162
Die Woche hatte schlecht begonnen, und es schien, als würde jeder neue Tag nur weitere Unbill bringen. Willem war zum ersten Mal nicht eher als in den Morgenstunden von der Mühle nach Hause gekommen, bleich vor Erschöpfung und vollkommen ausgehungert, weil einige der Männer nicht zur Arbeit erschienen waren und er sich auf die Schnelle um Ersatz hatte kümmern müssen, damit die Stoffe rechtzeitig fertig wurden. Er hatte die Neuen anweisen müssen und war selbst mit eingesprungen, was ihn offenbar bis in die Träume verfolgte, denn er atmete stoßweise, schnarchte laut und ließ auch Theresa nicht zur Ruhe kommen.
Den ganzen folgenden Tag über war sie unkonzentriert und missmutig, ließ Dinge fallen, was ihr sonst so gut wie nie passierte, und zuckte zusammen, sobald jemand vorbeiging oder anklopfte. Als es dunkel wurde, hörte sie auf einmal laute Männerstimmen vor dem Fenster.
»Passt doch auf - ja, vorsichtig! Ihr müsst ihn fester halten, sonst fällt er nach vorn.«
Sie flog zur Tür, eine unbestimmte Angst im Herzen, die sich leider allzu schnell bestätigte: Willem, der schlaff zwischen zwei von Simons Knechten hing, während der Fernhändler ihn von hinten stützte.
»Man hat ihn überfallen und übel zusammengeschlagen«, rief Simon. »Du musst ihn verbinden. Er blutet am Kopf und hat wohl auch einen Zahn verloren.«
»Bringt ihn nach oben!« Theresas Stimme zitterte. »Und legt ihn dort vorsichtig auf unser Bett!«
Die Männer gehorchten, dann schickte Simon sie nach Hause.
»Sollen wir nicht lieber den Bader rufen?«, fragte er, während Theresa Willem behutsam untersuchte.
»Mit seinen widerlichen Blutegeln wird er hier wohl kaum etwas ausrichten können.«
Willem hatte ein Veilchen am rechten Auge abbekommen und mehrere tiefe Kratzer im Gesicht, als hätte ein wütendes Raubtier ihn angefallen. Größere Sorgen bereitete Theresa die dicke Beule am Hinterkopf, die immer weiter anschwoll. Da er schmerzerfüllt röchelte, als sie ihm das Hemd ausziehen wollte, holte sie die Schere aus ihrem Geburtskorb und schnitt es kurzerhand der Länge nach auf.
»Sie müssen hart gegen seine Rippen getreten haben.« Simon klang besorgt. »Wieder und immer wieder. Vier Männer. Schmutziges Lumpenpack, nur mit dem Allernötigsten auf dem Leib. Kein Jude würde jemals so verdreckt herumlaufen, aber unter euch Christen scheint so etwas möglich zu sein. Ich hab sie noch wegrennen sehen, wollte mich aber lieber erst um Willem kümmern, statt sie zu verfolgen. Hoffentlich ist nichts gebrochen!«
Wie dringend hätte sie jetzt Schwester Benigna und ihr fundiertes Wissen gebrauchen können! Der Gedanke an die freundliche Nonne mit dem großen Herzen ließ Theresas
Augen feucht werden. Im Gedenken an ihre einstige Lehrerin hatte sie eine kleine Sammlung von Heilkräutern zusammengetragen, die sie bei Schwangeren und Wöchnerinnen gelegentlich einsetzte. Welch jämmerliche Auswahl im Gegensatz zu Benignas liebevoll gepflegtem Klostergarten! Doch wenn sie nur genau genug überlegte, fand sich bestimmt etwas, was Willem helfen konnte.
»Willem? Tut das weh?« Sie drückte gegen seinen Brustkorb, erst von links, dann von rechts. Eine Art Jaulen drang aus seinem Mund.
»Ich fürchte, doch«, sagte sie zu Simon gewandt. »Mehr als eine Rippe scheint verletzt zu sein. Ich werde ihm Umschläge aus Arnika und Beinwell auflegen. Und einen Tee aus Tausendgüldenkraut bekommt er auch. Den Rest muss die Natur erledigen.« Sie legte Willem ihre kühle Hand auf die Stirn. »Wer macht denn so etwas? Du hast doch keiner Menschenseele etwas getan!«
Willem schüttelte den Kopf, als sei er nicht in der Lage zu antworten, und Theresa drang für den Moment nicht weiter in ihn.
»Versuch jetzt zu schlafen!«, sagte sie, als Simon gegangen war und sie ihren Liebsten versorgt hatte. »Morgen allerdings will ich dann genau wissen, was passiert ist.«
Doch als er schließlich zu sprechen begann, rau und unwillig, als koste jedes Wort große Anstrengung, konnte sie kaum glauben, was sie zu hören bekam.
»Die Walkleute?«, wiederholte sie kopfschüttelnd. »Aber warum denn
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