Die Prophetin vom Rhein
Theresa ein kalter Schauer den Rücken hinunterlief.
Diese Worte hatte sie schon einmal gehört. Doch wann? Und von wem? In ihrer jetzigen Verfassung war sie zu schwach, um sich daran zu erinnern.
»Ihr werdet euch in Köln schnell wohlfühlen«, fuhr Marlein fort. »Dafür werden wir schon sorgen.«
»Wir?«, entfuhr es Theresa. »Bist du denn keine Witwe? Ich dachte nur, dein dunkles Kleid …«
»In gewisser Weise - ja. Und jetzt schlaf weiter! So wirst du am schnellsten wieder gesund.«
Irgendwann am späten Nachmittag weckte sie Willems Stimme. Schlaftrunken öffnete sie die Augen. Ihn im Dämmerlicht so nah bei sich zu spüren, ließ eine Woge von Glück in ihr aufsteigen. Plötzlich waren die düsteren Gedanken der letzten Zeit verflogen. Es war gar nicht so wichtig, wo sie mit Willem lebte, Hauptsache, sie beide waren zusammen. War jetzt nicht genau der richtige Moment, um ihm von dem Kind zu erzählen, das sie von ihm erwartete?
Sie öffnete schon den Mund, als er seine Hand auf ihre Stirn legte.
»Fühlt sich schon ein wenig kühler an«, sagte er. »Hat Marlein sich um dich gekümmert?«
»Tee und Brot hat sie mir gebracht, aber ich hab nichts essen können.« Sie streckte sich. »Inzwischen bin ich allerdings so hungrig, dass ich ein halbes Kalb verschlingen könnte.«
Willem lachte. »Ein Kalb hat sie dir wohl kaum gebraten, aber immerhin eine würzige Suppe gekocht, die ich dir gleich auftischen werde.« Er streichelte ihre Wange. »Es geht dir also wieder besser. Wie sehr mich das freut!«
Theresa hielt seine Hand fest, bevor er sie ihr entziehen konnte, und schnupperte daran.
»Riecht ganz stark nach Pferd«, sagte sie erstaunt. »Wo bist du denn die ganze Zeit gewesen?«
»Hab ein gutes Geschäft gemacht«, sagte er. »Zwei Maultiere gegen ein stattliches Ross. Sollte eigentlich meine Überraschung für dich sein.«
»Du hast unsere Stuten verkauft?«, fragte Theresa verblüfft. »So schnell? An wen denn?«
»An … Leute, die du nicht kennst.« Da war sie wieder, jene Maske, die sie so hasste, weil sie sie von allem ausschloss. »Das Wichtigste ist doch, dass wir endlich wieder
ein Pferd haben, damit ich mich bald nach einer neuen Mühle umsehen kann. So steht jetzt in unserem kleinen Stall gleich hinter dem Haus ein Wallach, der sogar ein wenig an deinen alten Weißen erinnert. Brauner hab ich ihn genannt, und der Name scheint ihm zu gefallen - und dir auch, wie ich hoffe.«
Sie ließ sich ins Kissen zurücksinken und schloss die Augen. Ein Weilchen würde sie ihr Geheimnis noch für sich behalten. Es musste erst der richtige Moment kommen, um Willem einzuweihen.
Wie er wohl reagieren würde?
Ein Gedanke, der ihr die nächsten Tage nicht aus dem Kopf ging, als das Fieber immer weiter sank, bis es schließlich ganz verschwunden war. Was zurückblieb, war ein leichtes Schwindelgefühl, wie Theresa es schon von der ersten Schwangerschaft her kannte - und eben diese unberechenbare Übelkeit, die sie jederzeit überfallen konnte.
Dennoch gab sie sich Mühe, sich nach außen hin nichts anmerken zu lassen, was gar nicht so einfach war, weil Marleins neugierige Blicke ihr überallhin folgten. In den Tagen der Krankheit war die Nachbarin eine große Unterstützung gewesen, hatte eingekauft, gekocht und aufgeräumt, jetzt aber wurde Theresa ihre ständige Anwesenheit im Haus, die sie zumeist allein ertragen musste, weil Willem häufig unterwegs war, allmählich zu viel. Wenn sie sich bei Willem erkundigen wollte, reagierte er unwillig und wurde schnell ärgerlich, weshalb sie beschloss zu warten, bis er von sich aus erzählen würde, was ihn derart umtrieb.
»Du willst wirklich schon auf den Markt?« Marleins Hand griff bereits wieder bevormundend nach dem Korb. »Das kann doch ich erledigen!«
»Deine Freundlichkeit haben wir mehr als genug beansprucht.« Theresa hielt den Korb fest. »Die frische Luft
wird mir guttun. Außerdem ist es an der Zeit, dass ich meine neue Umgebung kennenlerne.«
Doch sie hatte ihre Kräfte deutlich überschätzt. Schon nach ein paar Schritten raste ihr Herz, und kalter Schweiß trat auf ihre Stirn. Dabei war sie gerade mal bis zu den ersten Marktständen gekommen, wo Geflügel, Wild und Eier angeboten wurden. Sollte sie einen Fasan kaufen? Auch Schnepfen, Birkhühner, Wildenten und Fischreiher waren kopfunter an großen Haken aufgereiht, und in geflochtenen Weidenkäfigen duckten sich lebende Hasen. Auf der heimatlichen Burg hatte Wild oftmals auf dem
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