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Die Prophetin vom Rhein

Titel: Die Prophetin vom Rhein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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»Jeder Schmerz und alle Traurigkeit sind in diesen kostbaren Augenblicken von mir genommen. Plötzlich bin ich wieder ein junges Mädchen und keine ältere Frau mehr, die viele Zipperlein plagen.«
    Die Schwestern mussten lachen, so viel Mut und unbändige Lebensfreude strahlte sie auf einmal aus.

    »Zumal ja noch wichtige Aufgaben vor mir liegen«, fuhr Hildegard fort. »Vom Domkapitel in Köln habe ich eine dringliche Anfrage erhalten. Sie erbitten meine Predigt in ihrer Stadt, wo sich heimlich immer mehr Ketzer niedergelassen haben, um ihren verderbten Riten zu frönen. Scheint, als hätten die guten Christen, die man aus Mainz vertrieben hat, dort allzu rasch eine neue Heimat gefunden. Die wackeren Kirchenmänner ersuchen mich, die Menschen aufzurütteln und auf den rechten Weg zu Gott zurückzuführen.«
    Was die Magistra dabei allerdings für sich behielt, war die Unterschrift, die sie unter jenen Zeilen gelesen hatte: Dudo, Dompropst zu Köln.
    Im ersten Augenblick hatte sie ihren Augen nicht recht trauen wollen. Er musste sich bei Rainald von Dassel eingeschmeichelt haben, der lange mit dem kaiserlichen Heer in Italien gelegen hatte. Wie aber war es zu diesem raschen Aufstieg gekommen nach all dem Schrecklichen, was in Mainz geschehen war?
    In dieser Angelegenheit musste sie sich dringend mit ihrem Bruder Hugo besprechen, der glücklicherweise auch unter Erzbischof Konrad von Wittelsbach seinen Posten als Mainzer Domkantor behalten hatte.
    Forschend glitt ihr Blick über die Gesichter der frommen Schwestern, die sich um sie versammelt hatten. Für die Reise nach Köln brauchte sie spezielle Unterstützung.
    »Wer bin ich, um mich solch einer Bitte zu verschließen? Ich werde also Köln in meine Predigtreisen einbeziehen, dabei aber auch die Städte Boppard, Andernach, Siegburg und Werden berücksichtigen, die nicht allzu weit entfernt liegen.«
    »Das alles willst du dir wirklich zumuten?« Schwester Hedwig klang zutiefst besorgt. »Du könntest unterwegs
krank werden, das fremde Essen nicht vertragen, schlecht schlafen, überfallen und ausgeraubt werden und vielleicht sogar noch Schlimmeres erleiden müssen …«
    Die Magistra hatte sich erhoben, ging zu ihr und legte ihr beruhigend die Hand auf die knochige Schulter.
    »Könnte, hätte, würde«, sagte sie lächelnd. »Wie recht du doch mit allem hast, was du gerade aufgezählt hast, Hedwig! Mitten im Leben sind wir vom Tod umfangen und ruhen dennoch stets sicher in Gottes gütiger Hand. Aber ich nehme deine Sorgen sehr ernst und will ihnen Rechnung tragen, so gut ich es vermag.«
    Hildegard wandte sich langsam um. Dabei fiel ihr Blick auf die kleine rundliche Frau inmitten der Schwestern, die aus Bescheidenheit sofort die Augen niederschlug.
    »Deshalb wird mich auf dieser Predigtreise Schwester Benigna begleiten, dann hab ich meine Infirmarin gleich mit dabei.« Ihr Lächeln vertiefte sich. »Zum Glück hat sie ihre Schülerin Afra seit Jahren in allen Gebieten der Heilkunde bestens unterwiesen. Falls also eine von euch während meiner Abwesenheit erkranken sollte, was ich nicht hoffen will, ist sie dennoch in den allerbesten Händen.«
    Über Benignas Gesicht ging ein Strahlen, das die ein wenig groben Züge verschönte.
    »Ich werde eine Reiseapotheke zusammenstellen, mit der wir für alle Notfälle gerüstet sind«, rief sie eifrig und begann vor lauter Aufregung mit ihren kräftigen Armen zu rudern. »Am besten fange ich gleich damit an.« Mit diesen Worten lief sie hinaus.
    Voller Rührung schaute Hildegard ihr nach. Wie die Kinder sollten wir alle sein, dachte sie, gleichgültig, wie viele Jahre wir auf dem Buckel haben: offen, freundlich, ohne jeden Arg. So hat der Allmächtige den Menschen erschaffen, bevor Satan auf den Plan trat und die Saat der
Versuchung in das menschliche Herz pflanzte. Bei manchen von uns allerdings ist sein schändliches Tun offenbar bis heute erfolglos geblieben. An einer so frommen, schlichten Seele wie Schwester Benigna würden die Dämonen der Hölle sich bis in alle Ewigkeit vergeblich die Zähne ausbeißen.

MAINZ - MÄRZ 1163
    Seit Tagen loderten immer wieder Brände in der Stadt, doch keine feindliche Erobererhand hatte sie gelegt, sondern sie waren von den Rittern des Kaisers auf dessen ausdrücklichen Befehl hin verursacht worden. Gründlich und ohne jedes Anzeichen von Nachsicht wurden die Wohnsitze all derer in Schutt und Asche gelegt, die sich gegen den ermordeten Erzbischof Arnold von Selenhofen erhoben

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