Die Prophetin vom Rhein
bekräftigt. Abschriften des Pergaments waren an den Kaiser, an Herzog Heinrich von Bayern und Sachsen sowie an Konrad von Wittelsbach und dessen Mainzer Domkapitel gegangen.
Einstimmig hatten die Kölner Domherren einen neuen Propst gekürt, Damian von Rechenberg vom Stift St. Gereon, der die Sechzig schon überschritten hatte und als besonders rechtschaffen und fromm galt.
Der größte Teil der Ketzer, die sich gute Christen nannten, hatte während der Stunden des Aufruhrs das Weite gesucht. Der Rest - sechs Männer und eine Frau - saß seitdem im Loch. Man hatte sie vernommen, peinlich verhört und alle ihre Aussagen protokolliert. Obwohl ihnen der Tod im Feuer drohte, hatte keiner von ihnen bislang Anstalten gemacht, den gefährlichen Irrglauben zu widerrufen. Dennoch hatte Theresa die Hoffnung noch nicht aufgegeben. Willem musste Vernunft annehmen, sonst würde er zusammen mit den anderen in den Tod gehen.
Schließlich erreichte sie den Gereonsturm, der die gefürchtetsten Verließe der Stadt barg, über die man nur im Flüsterton sprach. Für einen Augenblick kehrten jene Schreckensbilder der Mainzer Haft zurück, und aus ihrem Körper schien plötzlich die ganze Kraft zu weichen.
Mit aller Macht stemmte Theresa sich dagegen. Ich lebe, dachte sie, und trage neues Leben in mir. Nichts und niemand kann uns etwas anhaben.
Hug, der Henker, hatte sie offenbar schon erwartet.
Nachdem er kurz genickt hatte, verschwanden die beiden Silberstücke in seiner schwieligen Hand. Dann ließ er Theresa eintreten.
»Dort drüben«, sagte er und deutete auf ein dunkles Loch. »Da geht es hinunter in die Hölle.«
Wie tief es war und wie schwarz! Schwindel erfasste Theresa, doch es gab kein Zurück mehr.
»Geht Ihr voran!«, sagte sie. »Wenn ich falle, dann wenigstens auf Euch.«
Ein knurrendes Lachen, danach kletterte er hinunter. Sie folgte ihm, doch die Sprossen waren feucht, und ihre Sohlen rutschten mehr als einmal von dem glitschigen Holz ab.
»Macht bloß langsam«, rief Hug. »Ein Weib mit gebrochenem Hals kann ich beim besten Willen hier nicht gebrauchen.«
Als sie am Fuß der schier endlosen Leiter ankamen, wurde es eine Spur heller. Weit über ihnen stahl sich ein Strahl Sonnenlicht durch ein Gitter.
Genügend Licht, um, nachdem der Henker Willems Zelle aufgeschlossen hatte, zu erkennen, in welch erbarmungswürdigem Zustand dieser sich befand. Das Gesicht abgezehrt, die Hände blutverkrustet, der Körper schwach und elend. Die Füße hatte man ihm eng aneinandergebunden - doch wohin hätte er hier unten schon fliehen können? Er lag auf einer schmalen Pritsche, von der er sich auch bei Theresas Anblick nicht erhob. Es stank so bestialisch, dass sie nur flach atmen konnte.
»So lange, wie man braucht, um drei Ave Maria zu beten«, sagte Hug. »Sonst muss ich Nachschlag verlangen.«
Damit ließ er die beiden allein.
»Du hättest nicht kommen dürfen«, sagte Willem matt. »Ich hasse es, dass du mich so siehst.«
»Ich musste!« Sie kniete sich vor ihn, ohne sich um den
Schmutz und den Gestank zu kümmern, obwohl das Kleine, dem diese Haltung nicht zu gefallen schien, ihr kräftige Tritte versetzte. »Widerrufe, Willem! Ich bitte dich von Herzen! Noch kannst du gerettet werden.«
»Ich, ein Ketzer und Bischofsmörder? Wer sollte daran Interesse haben?«
»Des Mordes werdet ihr nicht mehr verdächtigt, keiner von euch. Mein Bruder Gero hat das Messer wiedererkannt, mit dem Arnold von Selenhofen im Jakobskloster getötet wurde, und alles feierlich vor Zeugen beeidet. Dudo war es, Dudo, der Kanonikus, den der Mob dieser Stadt beim Aufruhr getötet hat.« Ihr Tonfall wurde noch flehender. »Jetzt geht es nur noch um Ketzerei. Und wenn du …«
»Nur?«, unterbrach er sie. »Was du Ketzerei nennst, bedeutet mein Leben. Von Kindheit an habe ich daran geglaubt und danach gelebt. Jetzt werde ich dafür in den Tod gehen. Das bin ich meinem Onkel schuldig.«
»Gar nichts bist du!« Sie packte seine Schultern und rüttelte ihn. »Wach endlich auf, Willem! Adrian hat Wasser gepredigt und Wein genossen, Keuschheit gefordert und Wollust gelebt, deine Mühle angezündet und unsere Liebe zerstört, Ungeborene zum Sterben verdammt und dabei selbst ein Kind gezeugt …«
Willems wunder Blick glitt zu ihrem Bauch, den inzwischen keine Leibbinde der Welt mehr hätte unsichtbar machen können.
»Warum hast du nicht auf mich gehört?«, sagte er leise. »Wir hätten so glücklich sein können, nur du und ich
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