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Die Prophetin vom Rhein

Titel: Die Prophetin vom Rhein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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falsch betonte.
    Kaum war sie zur Frau gereift, wurden sie ein Paar.
    Die Leute im Dorf hatten sich längst an den Fremden mit der hellen Haut und den blauen Augen gewöhnt, der inzwischen ihre Gewänder trug, der redete, wie sie redeten, und betete, wie sie zu beten gewohnt waren.
    Vom Kämpfen hatte er nur noch die ersten Jahre geträumt, doch die Bilder einer dunkelhaarigen Frau mit ernsten Augen und zweier Kinder, die verweint zu seinem Pferd aufschauten, hielten sich hartnäckig.
    Irgendwann beschloss er, die drei ganz zu vergessen und
nicht mehr zurückzukehren in ein Zuhause, das mehr und mehr vor ihm verschwamm, angefüllt mit Vorstellungen und Sitten, die er kaum noch verstand.
    Die Jahre erschienen ihm glücklich und erfüllt. Safira schenkte ihm zwei Kinder, ein Mädchen, das sie Abal nannten, und Kasib, den Sohn, der, sobald er laufen konnte, jeden Stock aufhob und damit wild herumfuchtelte.
    Niemals war er zufriedener gewesen.
    Dann hielt das Fieber Einzug in sein Dorf - und mit ihm die Not. In nahezu jedem Haus klopfte es an, legte seine heiße Hand zunächst auf die Alten, dann auf die Kinder.
    Abal und Kasib starben. Safira war so untröstlich darüber, dass sie sich in den Brunnen stürzte, weil sie nicht mehr leben wollte.
    Nasrin legte sich ins Bett, um nie wieder aufzustehen.
    Er allein blieb als Einziger übrig.
    Der Tod war zurück, und das Gesicht, das er ihm nun zeigte, vermochte der Ritter nicht länger zu ertragen. Er verkaufte seine gesamte Habe und erstand dafür ein Pferd. Mit ihm begab er sich auf den endlosen Weg zurück, in eine Welt, die ihm fremder erschien, je näher er ihr kam.
    Unterwegs wurde er überfallen und ausgeraubt, er erkrankte schwer und wäre mehrmals beinahe an brackigem Wasser gestorben, doch der Tod zog sich wieder zurück, denn die Reise war noch nicht zu Ende.
    Die Ortenburg erreichte der Ritter an einem sonnigen Septembermorgen. Die Luft war klar und kühl, und man roch, dass der Herbst begonnen hatte. Das Tor stand einladend offen. Er ritt in den Burghof, als sei er nur zur Jagd unterwegs gewesen.
    Die junge Frau mit dem langen dunklen Haar, die gerade ein Kind an der Brust hatte, schaute auf, als sie ihn kommen
hörte, dann öffnete sich ihr Mund zu einem lauten Schrei.
    Ada - wie jung und schön sie war!
    Im nächsten Augenblick wusste er, dass dies Theresa sein musste, ein Mädchen noch, als er das Kreuz genommen hatte, und inzwischen zur Frau gereift.
    Ein blonder junger Mann im Waffenrock kam angelaufen, sein Schwert in der Hand. Er stutzte, als der Ritter langsam abstieg, und runzelte die Stirn. Dann lief er auf ihn zu und umarmte ihn stürmisch, während ein zweiter Mann mit dunklen Haaren ein Stück entfernt stehen blieb.
    »Vater!«, rief Gero. »Du lebst! Du bist zu uns zurückgekehrt!«
    Später saßen sie beisammen und redeten, bis alles in des Ritters Schädel sich drehte, als ob er auf dem Rand eines bunten Kreisels gefangen wäre.
    Musste alles wieder von vorn beginnen?
    Er hatte seine Frau verloren und eine Enkelin bekommen. Sein Bruder hatte ihm den Besitz geraubt und ihn wieder verloren, als er vor der Zeit gestorben war. Sein Sohn war zum Ritter geschlagen worden und von der gleichen Leidenschaft durchdrungen, die einst auch in seinen Adern geglüht hatte. Dessen Freund, der vom bayerischen Herzog gleich in der Nachbarschaft ein Lehen erhalten hatte, liebte Theresa von ganzem Herzen und würde sie irgendwann freien. Seine Tochter war einer großen Heiligen begegnet, von der sie geformt und erzogen worden war. Sie hatte sich mit ihr überworfen, wieder ausgesöhnt und stand nun für immer unter deren Schutz.
    Die nächtliche Kühle des Herbstabends spürte Robert von Ortenburg nicht mehr, als er todmüde aufs Lager sank. Plötzlich wurde es lau im Raum, und der Himmel über ihm öffnete sich, wurde weit und blau. Der Tod hatte ein
hageres bräunliches Gesicht. Seine Nase war gekrümmt. In den schwarzen Sichelaugen glaubte der Ritter eine Spur von Schalk zu lesen. Er hatte keine Angst vor dem Tod. Er kannte ihn ja.
    So vieles hatten sie geteilt!
    Er atmete tief aus, spürte, wie leicht er dabei wurde, und es war genau so, wie er es seit jeher erhofft hatte.
    Jetzt, endlich, erlöste ihn das ersehnte Dunkel, tief und grenzenlos.

Historisches Nachwort
    Hildegard von Bingen ist ein Phänomen. Man könnte meinen, der 90. Psalm sei speziell für sie geschrieben: »Denn tausend Jahre sind für dich wie der Tag, der gestern vergangen ist …«
    Diese

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