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Die Prophetin vom Rhein

Titel: Die Prophetin vom Rhein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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geworden.
    Plötzlich vernahm sie schnelle Schritte hinter sich. Dann legte sich ein weicher Arm um ihre Schultern.
    »Es ist schwer, Theresa«, hörte sie Benigna sagen. »Ich weiß, wie schwer es ist.«
    Ein Schluchzen stieg in Theresa auf, so stark, dass es ihr fast die Kehle sprengte. Doch noch hielt sie dagegen an, obwohl ihr Körper zu zittern begonnen hatte.
    »Die Wut löst sich langsam auf«, fuhr die Nonne fort. »Und dann kommt die Trauer, und die ist oftmals noch
sehr viel schwieriger zu ertragen. Doch nur wer sie zulässt, kann seinen Frieden finden und später wieder fröhlich werden.«
    »Wie soll ich das hier zustande bringen? Ich hasse dieses Kloster!«, rief Theresa und fuhr herum, um es ihr ins Gesicht zu schreien. »Diese Mauern, diese Kapelle, diesen Friedhof! Und euch hasse ich erst recht - euch alle!«
    »Hast du deshalb den Sadebaum zerstört?«
    »Ich? Nein, das war doch die Magistra. Mit bloßen Händen hat sie ihn herausgerissen und danach quer durch den Garten geschleift«, sagte Theresa schniefend. »Ich glaube, sie hat es für Mutter getan. Um sich auf diese Weise bei ihr zu entschuldigen.«
    Benigna gelang es, ihre Verblüffung vor dem Mädchen zu verbergen. Eine Frau, der das göttliche Licht erschien, rächte sich an einer Pflanze, durch die ein Mensch zu Tode gekommen war! Bei näherer Betrachtung passte es aber zu Hildegard: immer alles auf direktem Weg, ohne den geringsten Kompromiss.
    »Komm her!«, sagte sie und hätte beinahe gelächelt, als Theresa tatsächlich einen winzigen Schritt in ihre Richtung wagte. »Sei mutig. Nur noch ein kleines Stück, und schon hast du es geschafft. Lass mich mit dir die Last deines Herzens teilen!«
    Der schmale Körper des Mädchens passte gut in ihre Arme. Sie hielt es fest, aber nicht zu eng, spürte die Rippen unter dem schäbigen Stoff und den wilden Herzschlag, der sich allmählich beruhigte.
    »Wenn du einverstanden bist, könnte ich dir einiges beibringen«, sagte sie nach einer Weile. »Den Geist mit neuen Dingen zu füllen, ist die beste Methode, mit seinen Gefühlen umzugehen. Das kann man, indem man schreibt und damit Dinge entstehen lässt. Aber auch die Pflanzen wachsen
und entwickeln sich, und wir können ihnen dabei zusehen. Sie sind wunderbare Ratgeber, von denen wir vieles lernen können.«
    Theresa blieb stumm, schien die Umarmung aber zu genießen. Benigna spürte, wie ihre Schulter immer feuchter wurde, so ungehemmt flossen nun die Tränen, als sei dies der sicherste Platz, sie zuzulassen.
    »Es tut so weh«, murmelte Theresa zwischendrin. »Aber ich muss doch tapfer sein, allein schon wegen Gero.«
    »Ich weiß«, sagte Benigna leise. »Ich weiß doch, mein großes Mädchen!«

Zwei
    BINGEN - 1152
    Noch immer versetzte es Hildegard einen jähen Stich, wenn Theresa im Kloster unversehens ihren Weg kreuzte, so sehr erinnerte sie das Mädchen an die junge Richardis. Das Haar, die Augen, das Lächeln, die Art, sich zu bewegen - es war, als wäre die Zeit zurückgedreht und die geliebte Freundin stünde plötzlich wieder vor ihr. Seit das Mädchen die zerlumpten Reisekleider abgelegt und Magota es der Einfachheit halber mit dem hellen Leinengewand einer Novizin ausgestattet hatte, war sein Anblick sogar noch schmerzlicher geworden. Ein wenig besser wurde es, wenn während des Gottesdienstes der strenge Schleier aus Theresa eine von vielen machte. Doch sie schien Kopfbedeckungen zu verabscheuen und riss den Schleier voller Ungeduld wieder herunter, kaum war der letzte Satz des Segens verklungen.
    In Adas spärlichem Gepäck hatte Hildegard ein Prunkgewand aus Seide und rotem Samt entdeckt, das ihr nicht mehr aus dem Sinn gehen wollte. Mal trug es in ihrer Fantasie die Tote, dann wieder tänzelte das Mädchen darin leichtfüßig durch den Klostergarten, das Urbild von Sinnlichkeit und Sündhaftigkeit. Dann klang erneut die Beichte der Sterbenden in Hildegards Ohren, in der die Reichsgräfin ihre Niederlage gegen die Wollust eingestanden hatte, und die Magistra betrachtete Theresa erst recht mit argwöhnischen Augen. Schlummerte das Erbe der
leichtsinnigen Mutter auch in der Tochter, nur allzu bereit, sich bei passender Gelegenheit zu entfalten? Auf alle Fälle hielt Hildegard den Fund an einem sicheren Ort verwahrt, und falls das Mädchen sich überhaupt an das Kleid erinnerte, so redete es in seiner Gegenwart niemals darüber.
    Was wusste sie überhaupt von Theresa? So herzlich wenig, dass es ihr manchmal Angst bereitete. In

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