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Die Prophetin vom Rhein

Titel: Die Prophetin vom Rhein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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sich um ihren Bruder kümmerte und ihn mit in den Wingert nahm, um für ein
wenig Abwechslung zu sorgen. Sie war beinahe an der Tür zur Küche angelangt, wo man sie zum Dienst verpflichtet hatte, als Benigna das Mädchen zurückrief.
    »Was wollt Ihr?«, sagte Theresa ungehalten. Dass mit Clementia die leibliche Schwester Hildegards der Küche vorstand, überstieg ihr Vorstellungsvermögen. Sie machte sich nichts aus Kochen, und das Schneiden des Spitzkohls, zu dem sie nun verdammt sein sollte, erschien ihr erst recht widerlich. Zu Hause hatte es Mägde gegeben, die solch niedere Arbeiten verrichtet hatten. Von ihr aus hätte es für immer so bleiben können. »Mir ist kalt. Ich will endlich zurück ins Warme.«
    »Welches war ihr Lieblingsbaum?«, fragte Benigna lächelnd.
    »Woher soll ich das wissen?«, raunzte Theresa zurück.
    »Du bist wütend.« Benigna hatte eine außergewöhnliche Stimme, tief und klangvoll wie eine schwere Glocke. Ganz sanft sagte sie: »Der Tod macht uns wütend. Ich kann dich gut verstehen. Wieso verlassen sie uns einfach, ohne uns zu fragen? Und wohin gehen sie? Weißt du auch, Theresa, wie die Antwort darauf lautet? Unser Glaube sagt, sie gehen zu Gott. Doch wissen werden wir es erst, wenn wir selbst an die Reihe gekommen sind.«
    »Ja, ich bin wütend!«, rief Theresa. »Und daran ändert auch dein ganzes schlaues Gerede nichts. Wie konnte man die beiden nur einscharren wie räudige Köter? Sie liegen ja nicht einmal auf eurem Friedhof begraben!«
    Die zwei kleinen Vögel sangen immer noch um die Wette. Der Wind hatte aufgefrischt, doch die Luft war mild. Ringsherum standen alle Büsche und Bäume noch unbelaubt, aber das neue Leben, das schon unter den nackten Zweigen pochte, war bereits zu spüren.
    »Welches war der Lieblingsbaum deiner Mutter?«, wiederholte
die Infirmarin. »Komm schon, hör auf zu bocken und verrat es mir!«
    »Weshalb sollte ich?«
    »Weil wir beide ihn dann gemeinsam auf das Grab pflanzen werden. Und jedes Mal, wenn du kommst, um für sie zu beten oder mit ihnen zu sprechen, wirst du dich daran erfreuen können, um wie viel er wieder gewachsen ist.« Benigna legte Theresa die Hand auf den Arm, und die ließ es geschehen, als hätte sie sich insgeheim bereits danach gesehnt. »Die Toten verlassen uns nicht. Solange wir uns in liebevollem Gedenken ihrer erinnern, bleiben sie bei uns. Vergiss das nicht, mein Mädchen!«
    »Ja«, sagte Theresa, aber ihr Herz war leer.
    »Also?« Kluge Augen, dunkel wie Schwarzdornbeeren, die sie nicht mehr losließen.
    »Kirschen«, murmelte das Mädchen widerwillig. »Pralle rote Kirschen. Davon konnte sie niemals genug bekommen. Den ganzen Winter hat sie darauf gegiert, dass sie endlich wieder reif sein würden.«
    »Dann soll sie ihren Kirschbaum haben. Und jetzt lauf! Wir erwarten heute die Delegation des Erzbischofs, da wird jede Hand gebraucht.«
    Behände wie ein Junge rannte Theresa los, und Benigna schaute ihr noch eine ganze Weile nach, bevor sie zum Krankenbau ging, um Donata einzureiben.
    Doch sie musste feststellen, dass ihre Salbe nahezu aufgebraucht war. Die Aussicht, den Stinkwacholder fein zu zermörsern und aufwendig mit ausgelassenem Fett zu versetzen, stimmte sie nicht gerade fröhlich, erst recht nicht nach dem, was an Furchtbarem hinter ihnen lag. Doch Benigna war eine Frau, die unangenehme Dinge am liebsten sofort erledigte. Also nahm sie ihren kleinen Eimer und begab sich in den Klostergarten.

    Schon beim Näherkommen fiel ihr auf, dass etwas anders war. Der Anblick der Pflanzen, ihrer Lieblinge, denen sie so vieles verdankte, war nicht mehr wie bisher.
    Einer aus der Reihe fehlte - der Sadebaum!
    Es sah aus, als hätte ihn jemand mit großer Wut aus dem Erdreich gerissen. Ein paar Wurzeln ragten noch heraus, einige geknickte Äste lagen verstreut. Der Baum war prächtig gediehen, obwohl sie ihn erst vor drei Jahren gepflanzt hatte, und er war daher nicht einfach zu beseitigen. Benigna musste nur der Schleifspur nachgehen, um zu sehen, wo er gelandet war: direkt auf dem Kompost.
    Ihr Herz schlug schneller.
    Klostergarten wie auch Krankenstation waren ihre ureigenen Belange, in die keine andere etwas dreinzureden hatte. Selbst die Magistra wusste das zu respektieren. Allen im Konvent war klar, wie viel sie davon verstand und welch kleine Wunder sie mit ihrem umfangreichen Wissen bei der einen oder anderen Krankheit schon hatte bewirken können. Wer also erdreistete sich, ihr unerlaubt derart in die Quere zu

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