Die Prophetin vom Rhein
legen.«
Hildegard behielt für sich, wie viel ihr daran lag, dass Theresa sich gut einlebte und das Kloster als neue Heimat empfand. Natürlich konnte und sollte sie Richardis nicht ersetzen - niemand konnte das -, doch schien es, als sei allein durch ihre jugendliche Präsenz die schmerzliche Lücke ein wenig erträglicher geworden.
Vor allem aber setzte die Magistra auf die Zeit. Gewohnheit war eine starke Kraft, das hatte sie in ihrem eigenen Leben immer wieder erfahren. Gelang es, Theresa nach
und nach in den Kosmos des Klosters einzubinden, würde vermutlich ganz von selbst der Wunsch in ihr keimen, sich irgendwann für den Schleier zu entscheiden. So viele andere junge Frauen vor ihr waren diesen Weg schon gegangen, und es erfüllte Hildegards Herz mit tiefer Freude, dass im Novizinnenhaus gleich vier Anwärterinnen auf die Ewigen Weihen warteten.
Sie brauchte solche Freuden dringend, denn noch immer drückten sie schwere Sorgen. Die finanzielle Lage des Klosters war so schwierig geworden, dass der Mut sie manchmal zu verlassen drohte. Nach wie vor gab es keine offizielle Loslösung vom Disibodenberg, obwohl Hildegard von Anfang an unmissverständlich zu verstehen gegeben hatte, dass sie sich auf göttliches Geheiß hin bei ihrer Neugründung einzig und allein dem Erzbischof von Mainz unterstellt fühle. Abt Kuno freilich schien sich nicht darum zu scheren. Trotz mehrfacher Aufforderung machte er keinerlei Anstalten, die noch immer einbehaltene Mitgift der Nonnen herauszugeben. Damit fehlten der Magistra erhebliche Mittel. Mittel, die sie für den Erhalt und Weiterausbau dringend benötigt hätte.
Er dagegen schien bewusst auf Zeit zu spielen. Weil er ahnte oder sogar wusste, dass ihr großer Förderer Erzbischof Heinrich womöglich nicht mehr lange in Amt und Würden bleiben würde?
Denn der neue König, den die Großen des Reichs inzwischen nahezu einstimmig gewählt hatten, hieß Friedrich von Schwaben. Und schon bald nach seiner Ernennung zeigten zahlreiche Edikte, dass und vor allem wie er seine Macht im Reich künftig zu nutzen gedachte. Das war kein frommer Zauderer, wie König Konrad es gewesen war, der stets auf den Rat seiner Bischöfe und hohen Ordensleute gehört hatte, bevor er eine Entscheidung traf.
Friedrich galt als Mann der Tat, der schnell handelte, zu schnell, wie manche monierten, bevor er sie mit Zugeständnissen oder Drohungen mundtot machen konnte.
Vorsorglich hatte Hildegard ihm kurz nach der Wahl ein offizielles Begrüßungsschreiben zukommen lassen, das sie Bruder Volmar in die Feder diktiert und danach noch viele Male umgeschrieben hatte, bevor sie es zur Königspfalz nach Ingelheim schickte.
Der höchste Richter richtet folgende Worte an Dich: Es ist wunderbar, dass der Mensch solch einer Persönlichteit bedarf, wie Du König sie darstellst …
Nun, o König, treffe eifrig Vortehrungen! Ulle Länder sind von der betrügerischen Menge jener verfinstert, die mit der Schwärze ihrer Sünden die Gerechtigteit vernichten. Räuber und Umherirrende zerstören den Weg des herrn. O Du König, mit dem epter der Barmherzigteit weise die trägen, fremdartigen und wilden Verhaltensweisen zurecht! Du trägst nämlich einen ruhmreichen Namen, da Du önig in Israel bist. Sehr ruhmreich sei Dein Name …
Damit hatte sie ihm den Respekt erwiesen, den ein König verdiente. Und ihm gleichzeitig geschmeichelt, wie mächtige Männer es gern hatten. Hildegard war zufrieden, denn so war es ihr gelungen, in einem Atemzug den ruhmreichen Namen des Herrschers zu preisen und ihm gleichzeitig mit dem Hinweis auf den höchsten König einen Fürstenspiegel vorzuhalten, der ihn zur Demut aufforderte.
Sieh also zu, dass Du - wenn der höchste Richter Dich betrachtet - nicht angetlagt wirst, Du hättest Dein Umt
nicht recht verstanden, und dann erröten müsstest. Da sei ferne! Offensichtlich ist es richtig, wenn ein Gebieter seine Vorgänger im Guten nachahmt. Denn rabenschwarz ist das Verhalten jener Vorsteher, die ausgelassen und schmutzig umherlaufen. Davor fliehe, o König! Sei vielmehr ein bewaffneter Soldat, der dem eufel tapfer widersteht, damit Gott nicht vernichtet und das irdische Reich sich darüber schämt …
Was hätte sie ihm noch alles schreiben können! Eine innere Stimme aber riet ihr, es bei dem zu belassen, was auf dem Pergament stand. Eine Rückantwort stand bis heute aus, doch über Vertraute bei Hof war ihr zugetragen worden, wie wohlwollend Friedrich das Schreiben
Weitere Kostenlose Bücher