Die Prophetin vom Rhein
der berühmten Magistra aufgenommen hatte. Sein Konflikt mit Heinrich von Mainz allerdings hatte sich weiter verschärft, was ihr aus den gleichen Quellen zugetragen worden war.
Der Erzbischof schien zu ahnen, was ihm bevorstand. Müde und blass erschien er ihr, vom Alter gebeugt, das ihm neuerdings sogar einen Stock mit Elfenbeinknauf aufgezwungen hatte, als er zum Osterfest das Kloster aufsuchte, um die wiederhergestellte Kapelle einzuweihen, in der die Gebeine des heiligen Rupert und seiner Mutter Bertha verehrt wurden. Gleichzeitig wurde die Profess der vier neuen Schwestern gefeiert, die sich auf Lebenszeit mit dem himmlischen Bräutigam vermählten.
Die Zeremonie war so feierlich, dass viele der älteren Nonnen vor Ergriffenheit weinten. Auch Theresa hatte mit den Tränen zu kämpfen, was wiederum Hildegard tief berührte.
Es gab noch mehr Anlass zur Freude, denn Heinrich war nicht mit leeren Händen gekommen. Am Nachmittag
wurde in Anwesenheit des Notarius und Kanonikus Dudo, der ihn begleitete, eine Urkunde unterzeichnet, die dem Kloster ein Mühlenwehr am Binger Loch nebst umfangreichem Grundbesitz vermachte.
Hildegard empfand unwillkürlich eine Art Abscheu gegenüber diesem wieselflinken Mann, der so eloquent war und gleichzeitig so wenig von sich preisgab. Ihren Bruder Hugo, der den Erzbischof ebenfalls begleitete, spielte er mit wenigen Sätzen mühelos an die Wand.
Sie rief sich selbst zur Ordnung. Wie konnte sie jemanden verurteilen, den sie doch gar nicht kannte? Allein das Gebot der Nächstenliebe verbot solch ein Verhalten. Und dennoch fiel es ihr schwer, ihre Abneigung nicht zu zeigen.
»So werdet ihr nach und nach immer autarker«, sagte Heinrich, als sie nach dem Essen auf seinen Wunsch hin einen kleinen Spaziergang im Klostergarten unternahmen. »Das muss doch ganz in deinem Sinn sein! Jetzt gehören dem Kloster Garten, Wasser und Mühle, genauso, wie es der heilige Benedikt in seinen Regeln festgelegt hat.«
Er blieb stehen, sah sich nach allen Seiten um. »Und wie schön es hier schon geworden ist!«, rief er. »Ihr fleißigen Schwestern habt auf diesem einstigen Stück Ödland wahre Wunder vollbracht!«
Benigna hatte mit Theresas Hilfe alles aufs Beste präpariert. Die Beete waren schnurgerade ausgerichtet, von Unkraut und alten Rückständen befreit und frisch gedüngt worden. Märzenbecher, Huflattich, Buschwindröschen und vieles andere mehr hatten ihre bunten Köpfe aus der Erde gestreckt, Kräuter waren frisch ausgesät worden, Büsche und Bäume kunstvoll gestutzt und mit Kalk bestrichen, damit der Nachtfrost, der noch immer drohte, keine tiefen Risse in die Rinde reißen konnte.
»Unsere Dankbarkeit ist Euch gewiss, Vater«, erwiderte Hildegard und fuhr freimütig fort: »Doch was nützen solch großzügige Geschenke wie eine Mühle, wenn der Grundstock nach wie vor wackelt?«
»Du sprichst vom Abt des Disibodenbergs?«
Die Magistra nickte. »Abt Kuno will nicht anerkennen, was Ihr längst getan habt. Ja, es kommt mir sogar vor, als habe er erneut Oberwasser gewonnen. Jedenfalls hat er uns in derart forschem Ton eine Visite angekündigt, dass ich keinerlei Zweifel an seiner hartleibigen Haltung hege. Jetzt frage ich mich nur, was ihn dazu ermuntert haben könnte. Kann Kuno etwas wissen, das uns noch verborgen ist?«
Heinrich stützte sich schwerer auf seinen Stock. »Dass der König mich hasst, ist kein Geheimnis«, sagte er. »Mich, den einzigen unter seinen Fürsten und Bischöfen, der den Mut besessen hat, ihm einen anderen Kandidaten vorzuziehen. Friedrich weiß genau, wer der rechtmäßige Anwärter auf den Königsthron gewesen wäre, und allein der Gedanke daran macht ihn krank. Daher hat er sich vorsorglich mit lauter Männern umgeben, die ihm nach dem Mund reden, und sogar den Welfen mit großzügigen Schenkungen zum Schweigen gebracht - wenigstens für eine Weile. Friedrich fühlt sich sehr stark. Diese Stärke wird er nun auch mir beweisen wollen.«
Seine dünnen Lider flatterten. Er musste fast zwanzig Jahre älter sein als Hildegard, die zum ersten Mal an diesen Umstand dachte. Trotz der Frühlingssonne, die ihr beim langsamen Gehen den Rücken wärmte, fröstelte sie auf einmal. Ihr Auftrag kam direkt von Gott, daran gab es keinerlei Zweifel. Aber wie würde es sein, ihn in einer Welt voller einflussreicher Männer ohne männlichen Schutz durchzusetzen?
»Ihr müsst Euch schonen!«, bat sie. »Wir brauchen Euch doch so dringend!«
»Ich fürchte, du wirst
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