Die Prophetin vom Rhein
schwarzen Krähen je wieder über den Weg trauen.
Bevor er sich noch richtig versah, musste Gero Abschied von Theresa nehmen, die, weil sie ein Mädchen war, auf dem Rupertsberg bleiben durfte, während er diesem ungeschlachten Kerl übergeben wurde, dem die Farbe rostigen Eisens im Lauf der Jahre tief unter die Haut gekrochen zu sein schien.
Thies’ Finger freilich waren überaus flink und geschickt. Und die seines Gesellen Laurenz nicht minder. Das wurde Gero spätestens klar, als der Sarwürker ihn eines Tages aufforderte, Besen und Schaufel beiseitezulegen, und ihm ein Wurmeisen reichte, auf das er von nun an Draht zu wickeln hatte.
»Wozu?«, lehnte Gero sich auf, denn Laurenz hatte ihm längst erklärt, zu welchem Zweck die unzähligen Eisenringe dienten, die in Kisten und Säcken entlang der Werkstattwände lagerten. »Da liegen doch genügend Ringe, um bis in alle Ewigkeit …«
»Ordentliches Wurmen hat noch keinem geschadet«, fiel der Geselle ihm ins Wort, dessen Augen schon wieder verdächtig glänzten. Wann immer er Gelegenheit bekam, sprach er Most, Bier oder dem billigen Wein der einfachen Schenken bereitwillig zu. »Nur so kann eines Tages vielleicht doch noch ein guter Sarwürker aus dir werden.«
Als ob er das jemals angestrebt hätte!
Allein die Erwähnung einer Lehrzeit von sechs Jahren hatte ihn sprachlos vor Wut gemacht. Seitdem wartete Gero auf eine Gelegenheit, um wegzulaufen und endlich all das hinter sich zu lassen, was ihn von Tag zu Tag mehr aufbrachte: den vierschrötigen Meister, das falsche Lächeln des Trunkenbolds, den widerlichen Krautgestank, vor allem jedoch die blutjunge Meisterin, deren wachsender Bauch die Erinnerungen an jene furchtbare Nacht im Kloster unweigerlich lebendig hielt.
Das ungewohnte Material forderte seinen Tribut. Auf der väterlichen Burg war Gero körperlich niemals so hart hergenommen worden, nicht einmal in den letzten Monaten unter der Fuchtel seines Oheims Götz. Jetzt aber glühte die Haut unter dem dünnen Leder, mit dessen Hilfe er den Draht führte, weil er ihn trotz aller Ermahnungen
beim Spulen zu fest gepackt hielt. Brandblasen bildeten sich, die irgendwann aufplatzten und seine Finger in rohes Fleisch verwandelten.
Noch schlimmer war die Qual, als Thies ihm eines Tages eine Kneifzange in die Hand drückte, damit er Eisenringe aufschnitt. Der Meister hätte doch sehen müssen, wie arg es um Geros Hände bestellt war, doch er verlor kein einziges Wort darüber. Seine Vorführung war wortkarg und konzentriert, als sei damit bereits alles erklärt.
»Wozu?«, murmelte Gero, obwohl er auch diese Antwort längst parat hatte. »Weshalb all dieses umständliche Aufschneiden?«
»Um Zeit zu sparen, wenn wir später daraus einen Sarwat wirken«, hörte er den Meister murmeln. »Und gebe der Allmächtige, dass ein entsprechender Auftrag uns bald von allen Sorgen erlösen möge!«
Wie klein diese Ringe waren - und wie ungemein hinterhältig! Immer wieder flutschten sie Gero aus der Zange in seinen malträtierten Händen, fielen hinunter und kullerten über den Boden. Fluchend kroch er ihnen nach, sehr zur Belustigung von Laurenz, der trotz seiner Trunksucht die gleiche Arbeit in erstaunlicher Geschwindigkeit verrichten konnte.
»Das wird schon!«, rief er, wenn Gero mit hochrotem Kopf wieder nach oben kam, und deutete grinsend auf all die Kisten und Säcke. »Gut Ding will eben Weile haben. An die fünfundzwanzigtausend von ihnen braucht man für ein durchschnittliches Kettenhemd. Wenn die alle erst einmal deine Zange durchlaufen haben, bist du gewiss ein ganzes Stück geschickter.«
»So lange werde ich nicht hier sein«, brummte Gero mit zusammengebissenen Zähnen. »Ich bin nämlich zum Ritter geboren - und nicht zum Eisenbieger!«
Laurenz’ Heiterkeit steigerte sich: »Ein Hinkefuß wie du?« Er wand sich vor Lachen. »Ein bettelarmer Bankert, der nicht nach Hause kann, weil die Mutter ihn dem ahnungslosen Vater als Kuckucksei ins Nest gesetzt hat …«
Er kam nicht weiter, denn Gero hatte die Zange fallen lassen und sich auf ihn gestürzt. Er war kleiner und um einiges schwächer, doch die Wut, die in ihm loderte, verlieh ihm ungeahnte Kräfte. Mit beiden Fäusten schlug er auf den Gesellen ein.
»Ich bin der Sohn des Reichsgrafen zu Ortenburg«, schrie er. »Der einzige und wahre! Und wag du ja nicht, noch ein einziges Mal das Ansehen meiner Mutter in den Schmutz zu ziehen, sonst …«
Sein Arm wurde jäh nach hinten gezerrt, ein
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