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Die Prophetin vom Rhein

Titel: Die Prophetin vom Rhein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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siech daniedergelegen - wie jedes Mal in ihrem Leben, bevor es eine große Aufgabe zu meistern galt. Allein die Gewissheit, dass der König sie in Ingelheim empfangen werde, eine Gelegenheit, die nicht so schnell wiederkehren würde, hatte schließlich all ihre Kräfte mobilisiert.
    So sehr sogar, dass sie die Fähre zum anderen Ufer genommen hatten, wo sie schon lange einmal hatte nachsehen wollen, ob sich ihr Traum von einem Tochterkloster nicht doch eines Tages verwirklichen ließe. Der Blick über Wingerte und Äcker gefiel ihr, und auf die Hügel zu spähen, wo es sich, falls Abt Kuno jemals nachgeben würde, erheben könnte, möglicherweise unweit des Konvents der Augustiner, der diese Rheinseite prägte, ließ ihr Herz ganz frei werden.
    Bruder Volmar schien zu spüren, was in ihr vorging. Ihn neben sich zu wissen auf dieser Reise mit ungewissem Ausgang, machte sie ruhiger und zuversichtlicher. Von Theresa, die voranritt, als würde der Weiße den Weg bereits kennen, sah sie nur den grünen Rücken, der sich im Rhythmus des Tiers anmutig auf und ab bewegte. Stolz saß sie zu Pferd, die junge Grafentochter, die ihr so ausgelassen schien wie schon seit Monaten nicht mehr und die
sich immer wieder zu ihr umdrehte, lächelte oder ihr etwas zurief.
    War es doch ein Fehler gewesen, ihr dieses Kleid zu schenken?
    Für Hildegard stellte es eine Prüfung dar, von der vieles für sie alle abhing. Sie hatte Gerlin, die Magota im Amt der Kleiderverweserin im Kloster nachgefolgt war, genaue Anweisungen für Farbe und Schnitt gegeben und war mit dem Ergebnis zunächst ganz zufrieden gewesen - bis zu jenem Augenblick, als sie Theresas überschäumende Freude erlebt hatte. Es konnte ihr gar nicht schnell genug gehen, den Habit abzustreifen und in das kühle Leinen zu schlüpfen. Natürlich gab es im ganzen Kloster keinen Spiegel, und doch hatte das betretene Mienenspiel der Mitschwestern Theresa gezeigt, wie anziehend und weltlich sie darin wirken musste. Einige schienen zu erwarten, dass Adas Tochter die fromme Gemeinschaft bald verließ, und es gab durchaus Tage, da neigte die Magistra selbst dieser Ansicht zu.
    Dann aber berührte sie erneut die Ähnlichkeit mit Richardis, die ihren Schmerz nicht tilgte, aber doch ein wenig leichter machte; sie freute sich an der Ernsthaftigkeit, mit der Theresa Benigna zur Hand ging, und verfolgte gespannt ihre beständigen Fortschritte im Scriptorium.
    Und hatte nicht Theresas Aufmerksamkeit erst jüngst dem kleinen Sohn der Wehmutter das Leben gerettet, dem eine Lungenentzündung beinahe den Tod gebracht hätte? Jetzt konnte der kleine Johannes bei seinen Besuchen wieder munter durch den Kreuzgang stapfen, wenngleich seine Wangen schmäler und die Beinchen nicht mehr ganz so drall waren.
    Adas Tochter liebte den Garten und seine Pflanzen, daran zweifelte Hildegard keinen Augenblick. Aber war auch
ihre Liebe zu Gott groß genug, um bis zum Ende ihrer Tage hinter Klostermauern zu leben? Hildegard wollte endlich Gewissheit haben. Deshalb hatte sie Theresa dieses grüne Gewand geschenkt und darauf bestanden, dass sie es in Ingelheim tragen sollte. Sie hoffte nun die Antwort zu erhalten, um die sie innerlich bangte.
    Theresa schien nichts davon zu ahnen. Es war ihr anzusehen, wie sehr sie die Sommerluft genoss, die ihr die Haut wärmte, und das Gefühl, endlich wieder einen Pferderücken unter sich zu spüren. An der Anlegestelle am Rhein, wo sie eine ganze Weile auf die Fähre zum anderen Ufer warten mussten und ihren Durst mit Wasser aus den Lederbeuteln stillten, die Clementia ihnen fürsorglich mit auf die Reise gegeben hatte, verschloss sich Theresas Gesicht auf einmal. Es wurde erst wieder heiterer, als sie drüben weiterreiten konnten und oben auf der Terrasse über dem Rhein schon die königliche Pfalz liegen sahen, einen mächtigen, halbkreisförmigen Steinbau mit sechs Rundtürmen.
    An der nächsten Weggabelung zügelte Hildegard ihre Stute.
    »Drüben im Ort ist Jakobimarkt«, sagte sie zu Volmar und drückte ihm ein paar Münzen in die Hand. »Ich stoße zu euch, sobald die Audienz beendet ist.«
    »Du willst allein zum König?«, fragte er erstaunt. »Wozu hast du mich dann überhaupt mitgenommen?«
    »Männlicher Schutz kann niemals schaden«, erwiderte sie. »Vor allem nicht in schwierigen Zeiten.«
    Aus der Nähe erschien die Pfalz noch beeindruckender. Gewaltige Bruchsteinmauern, die jedem Feind Widerstand bieten würden, ein großer quadratischer Vorhof, das breite

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