Die Prophetin vom Rhein
auf, als sie, ohne den Anstand zu verletzen, aufbrechen konnten und endlich wieder das Haus in der Salzgasse erreichten, das seit einiger Zeit auch Theresas Zuhause geworden war. Lethe stand in der Küche und buk Schmalznudeln aus, Florin und Karl kamen sofort zu ihrer Mutter gerannt, und der
kleine Johannes, der auf dem Boden selbstvergessen mit seinen Klötzchen gespielt hatte, streckte die dicken Ärmchen gebieterisch nach Theresa aus.
»Resa!«, rief er. »Fliegen!«
Sie tat ihm den Gefallen, hob ihn in die Höhe und spürte dabei, dass er mit jedem Monat, der verstrich, schwerer wurde. Da er unersättlich schien, was dieses Spiel betraf, wiederholten sie es viele Male, bis sie beide außer Atem waren. Theresa presste ihren Mund auf seinen Kopf und sog begierig den warmen Duft nach Unschuld und Leben ein.
Für ein paar Augenblicke vergaß sie alles um sich herum, und ihr seliger Gesichtsausdruck musste diese Empfindungen nur allzu deutlich widergespiegelt haben, denn Eva kam später darauf zurück, als sie nach dem Essen zusammen das Geschirr wuschen und Josch zu seinem Neffen gegangen war, um mit Peters Hilfe ein altes Fass für den Rupertsberg abzudichten.
»Jede Wehmutter sollte selbst geboren haben«, sagte Eva unvermittelt. »Dann erst kennt sie sich richtig aus in diesem Geschäft. Die Schwangeren legen großen Wert darauf. Und ihre Mannsbilder erst recht, damit der Frau bloß nichts passiert. Außerdem gibt es nichts Schöneres auf der Welt: ein Kindlein in den Armen zu wiegen, das aus deinem Leib gekommen ist.«
»Dazu braucht man aber erst einmal einen Mann«, rief Theresa und konnte nicht verhindern, dass ihr dabei die Röte ins Gesicht schoss, weil sie unwillkürlich an Willem denken musste.
Das stattliche Haus in der Enkersgasse schien verwaist, schon seit Monaten. Anfangs war sie immer wieder darum herumgestrichen wie eine hungrige Katze auf der Suche nach Rahm, obwohl die Schmach seiner Abfuhr lange in
ihr gebrannt hatte. Doch irgendwann veränderten sich ihre Gefühle ihm gegenüber, wurden weicher, versöhnlicher. Jetzt konnte sie auch wieder sein Bild vor sich aufsteigen lassen, ohne sofort diesen hässlichen Kloß im Magen zu spüren. Willem konnte es nicht so gemeint haben, davon war sie inzwischen nach langem Grübeln überzeugt. Jemand anderer, vielleicht sein mürrischer Onkel, der sie noch nie gemocht hatte, musste ihn dazu veranlasst haben. Sie bedeutete ihm etwas, nicht anders wie er ihr, daran gab es nichts zu rütteln. Sie musste einfach nur Geduld haben, sehr viel Geduld, dann würde eines Tages wahr werden, wonach sie sich so sehr sehnte.
In diesem Bewusstsein war es Theresa nicht weiter schwergefallen, ihre unsinnigen Kontrollbesuche in der Enkersgasse einzustellen. Willem war ja ohnehin nicht in Bingen. Ein untrügliches Gespür verriet es ihr und Lethes Geschwätz dazu, die jeden Klatsch wie ein Schwamm aufsog und munter weitergab.
»Daran würde es ja nicht mangeln.« Evas Ton war unverändert freundlich, ihre Augen aber blieben wachsam auf Theresa gerichtet. »Oder hältst du es etwa für Zufall, dass Peter jetzt ständig vorbeikommt? So viel Aufmerksamkeit hat er für seine kleinen Vettern in all den Jahren zuvor niemals übrig gehabt.«
»Peter, der Küfer? Das bildest du dir nur ein!« Theresas Lachen klang gezwungen. »Ich hab gehört, dass er schon vielen Mädchen schöne Augen gemacht hat. Der meint es nicht so ernst.«
»Hochmut kommt schnell vor dem Fall«, sagte Eva. »Das hab ich schon oft gehört. Was hast du denn gegen unseren Neffen einzuwenden? Er ist ein schmucker Kerl, der zudem sein Handwerk versteht. Die Leute hier an Rhein und Nahe werden immer gern Wein trinken. Und dafür brauchen
sie die Kunst des Küfers. Um ein gesichertes Auskommen müsste sich sein künftiges Weib also schon mal keine allzu großen Sorgen machen.«
Was sollte Theresa darauf antworten? Dass sie sein Lachen anfangs sehr gemocht hatte und auch die braunen Augen, die so treuherzig dreinschauen konnten, als sei er noch ein kleiner Junge. Dass sie aber auch schon andere Seiten an ihm wahrgenommen hatte, die sie abgestoßen hatten, etwa ein zorniges, rasches Aufbrausen, bei dem sich wüste Flüche wie ein Sturzbach aus seinem Mund ergossen. Besonders übel nahm sie ihm, dass er sich trotz Bittens und Bettelns nicht davon hatte abhalten lassen, in der Abenddämmerung einen zappelnden Sack im Fluss zu versenken, aus dem das jämmerliche Quieken junger Kätzchen gedrungen war. Da hatte
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