Die Prophetin vom Rhein
stumpfsinnig im Zelt hocken bleiben, um nicht abermals bis auf die Haut durchnässt zu werden. Dafür bekam er von Freimut einen alten Gambeson geschenkt, der ihm zwar ein ganzes Stück zu groß war, den er aber dennoch voller Stolz und Freude trug.
Von der Schleifung der Burg Rosate südwestlich von Mailand erfuhr Gero nur aus zweiter Hand. Freimut von Lenzburg gehörte nicht zu dem auserwählten Ritterhaufen, den der König für diese Aufgabe erkoren hatte, und als die Plünderer und Brandschatzer rußig von Kopf bis Fuß ins Lager zurückkehrten, machten schon bald derart übertriebene Erzählungen ihrer Heldentaten die Runde, dass man sie getrost im Reich der Märchen ansiedeln konnte.
Das Heer brauchte dringend Erfolge, das lag auf der Hand, denn die Stimmung in der Truppe war denkbar schlecht. Zwar lief nach vielen Mühen die Versorgung wieder ächzend und knirschend an, doch die Lieferungen von lombardischer Seite kamen trotz aller Drohungen nach wie vor ausgesprochen zögerlich. Vieles von dem, was im Lager ankam, war uralt, ungenießbar oder längst verdorben. Eine heftige Ruhrepidemie war die Folge, die sich schnell ausbreitete und kaum einen verschonte, auch nicht den König, der erst nach Tagen schwankend und sichtlich abgemagert wieder auf die Beine kam.
Was Barbarossa, wie die Italiener ihn wegen seines Feuerbartes nannten, freilich nicht daran hinderte, nun mit noch härterer Hand durchzugreifen. Jeder einheimische Marketender, der seine Waren dem Heer anbieten wollte, wurde derart durchkämmt, dass viele lieber flüchteten, als sich dieser Schikane noch auszusetzen. Auch der Besuch
von Hübschlerinnen im Heereslager wurde bei Strafandrohung verboten, und als sich zum Vergnügen der Männer doch eines Nachts ein paar Huren heimlich einschlichen, ließ Arnold von Selenhofen zwei von ihnen zusammen mit ihren Freiern öffentlich teeren und federn, was als Abschreckung für lange Zeit die gewünschte Wirkung erzielte.
Dennoch blieben die sehnlich erwarteten Erfolge weiterhin aus, von einem Durchbruch auf ganzer Linie, wie der König es jüngst seinen Rittern in einer flammenden Rede in Aussicht gestellt hatte, ganz zu schweigen. Bei kleineren Ausfällen wurden zwei Ticino-Brücken bei Turbigo zerstört, danach einige Burgen der Mailänder rings um Novara niedergebrannt. Nach Weihnachten marschierte das Heer über Vercelli und Turin nach Chieri und nach Asti. Beide Städte wurden eingeäschert. Das Ganze aber glich einem Zickzackkurs, der keinen zum Sieger machte, aber viele Verlierer hatte.
Namen und Ereignisse, die Gero kurz hörte, aber in der Eintönigkeit des Lagerlebens ebenso schnell wieder vergaß. Er hielt sich jetzt ständig in der Nähe seines Herrn auf, dem es zu gefallen schien, wie ehrfürchtig der Heranwachsende zu ihm aufsah. Natürlich hatte er weiterhin als Pferdejunge zu arbeiten, aber es gab auch immer mehr Gelegenheiten, bei denen Freimut von Lenzburg ihn beinahe wie seinen Knappen behandelte, zumal er inzwischen wusste, dass Geros Vater Reichsgraf gewesen war und beim Kreuzzug im Heiligen Land gefallen war.
Dem Ritter hatte imponiert, welch sorgfältiger Untersuchung Gero seine alte Brünne unterzogen hatte.
»Ihr tragt ja die denkbar einfachste Ausführung, Herr!«, war Geros erschrockener Aufschrei gewesen. »Lediglich das übliche Vier-in-eins-Geflecht! Wie leicht kann da eine Klinge oder Pfeilspitze durch die Maschen dringen. Ihr
braucht dringend einen neuen Panzer, sorgfältig vernietet, am besten aus verzinkten und brünierten Ringen geflochten. Hätte ich nur meine Zangen da, ich könnte Euch rasch aus der Verlegenheit helfen!«
Danach allerdings wurde er rot und verstummte für Stunden, als hätte er zu viel von sich preisgegeben.
Inzwischen kannte der Ritter ein paar Bruchstücke aus Geros Vergangenheit, obwohl sich der Junge zunächst offenbar ebenso geschämt hatte, darüber zu reden, warum er mit Mutter und Schwester die heimatliche Burg hatte verlassen müssen, wie über seine Zeit beim Sarwürker. Jedes Mal, wenn Freimut ihn genauer ausfragen wollte, zog Gero den Kopf ein und verstummte. Für Ersteren Grund zur Annahme, dass der ehemaliger Lehrherr ihn schlecht gehalten, ja womöglich sogar misshandelt hatte. Man hatte ihm zudem berichtet, wie unruhig sein Schützling schlief und dass er nachts oft schreiend hochfuhr. Auch tagsüber war dem Ritter schon öfter eine gewisse Geistesabwesenheit aufgefallen, als sei Gero auf einmal anderswo, unfähig, die einfachsten
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