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Die Prophetin vom Rhein

Titel: Die Prophetin vom Rhein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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Abt des Disibodenbergs sein Leben lang nicht vergessen würde:

    Wie groß ist die torheit in dem Menschen, der sich nicht selbst bessert, sondern sucht, was im herzen des anderen ist, und die Missetaten, die er darin findet, gleich gewaltsam ausbrechenden Wassern nicht zurücthält. Wer so tut, der vernehme die Untwort des herrn: O Mensch, warum schläfst du und hast an den guten Werten, die vor Gott wie eine Sinfonie ertlingen, teinen Geschmact? Warum entsagst du nicht durch Erforschung deines Herzenshauses deiner tecten Ungelegenheit? Du schlägst Mir ins Gesicht, wenn du Meine Glieder in ihren Wunden zurüctstößt, ohne auf Mich zu schauen, der Ich doch den Irrenden zur Herde zurücttrage …

    Die Kinder im Sarwürkerhaus waren Theresas erste beiden Geburten. Sie arbeitete jetzt bei Eva als Lehrmagd, unterstützt durch den Beitrag, den der Rupertsberg dazu geleistet hatte. Dem kräftigen kleinen Mädchen, von dem sie Cillie entbunden hatten, folgte kurz darauf Femes Bübchen, das so zart und durchscheinend war, dass niemand auch nur einen Kreuzer auf sein Überleben gewettet hätte.
    Doch der kleine Vinzent, der seiner Mutter schmerzhafte Wehen von einem Tag und einer Nacht eingebrockt hatte, während derer sie Bingen im Allgemeinen und den toten Sarwürker im Besonderen zur Hölle wünschte, erholte sich rasch. Zwar saß noch immer ein Vogelköpfchen auf seinen jämmerlich dünnen Schultern, und die Gliedmaßen erinnerten eher an geschälte Weidenruten als an die Arme und Beine eines ausgetragenen Säuglings, sein Appetit
aber war beachtlich. Sobald seinen gierigen Lippen die mütterliche Brustspitze entglitt, brach er in derart forderndes Brüllen aus, dass Feme alles tat, um ihn so schnell wie möglich wieder richtig anzulegen. War sein Hunger endlich gestillt, kam Cillies Maris an die Reihe, die kaum schrie, sondern zügig trank, weil aus den mageren Brüsten ihrer Mutter schon bald kein Tröpfchen Milch mehr fließen wollte.
    Als hätte sie das bereits geahnt, hatte die Sarwürkerwitwe, kaum war sie dem Wochenbett entstiegen, der kreißenden Feme beigestanden, ihr abwechselnd den Rücken gestützt und die aufgesprungenen Lippen mit Wasser benetzt, während Eva und Theresa den schwierigen Austrieb des Kindes überwacht hatten.
    Was war nicht alles nötig gewesen, bis sie endlich den ersten Schrei zu hören bekamen! Fenster und Türen hatten sie geschlossen, um jegliche Zugluft auszusperren, und den Körper Femes mit Rosenwasser abgerieben, damit er geschmeidig wurde. Zur Öffnung des Muttermundes, die so quälend langsam vor sich ging, dass sie um das Leben des Ungeborenen fürchteten, hatte Eva zunächst weiße Nieswurz verabreicht, was freilich fehlschlug und sie dazu zwang, mit dem spitzen Nagel ihres kleinen Fingers die Fruchtblase zu öffnen. Als sie der Stöhnenden zudem schwarzes Bilsenkraut an die Schenkel band und ein abgegriffenes Amulett um den Hals hängte, das schon viele schweißnasse Hände umklammert haben mochten, kam allmählich Bewegung in die stockende Geburt. Räucherungen mit Thymian und Wacholder taten ein Übriges, und die laute Anrufung der Heiligen Rochus und Dorothea um Beistand in Kindsnöten durfte nicht fehlen.
    Ein Rückschlag erfolgte allerdings, als Theresa unschuldig
nach einem Kleidungsstück des Vaters fragte, das Feme anziehen solle, um die Geburt weiter voranzutreiben - ein alter Brauch, den sie noch aus dem heimatlichen Ortenburg kannte. Feme bäumte sich auf und stieß ein Gebrüll aus, so markerschütternd, dass es bis hinaus auf die Gasse zu hören war, während der kleine Rochus sich die Ohren zuhielt und angsterfüllt in einer Kiste verkroch.
    Wenn Theresa daran dachte, hatte sie sofort wieder den Geruch nach Schweiß und Blut in der Nase. Er sollte für sie immer untrennbar mit dem Akt des Gebärens verbunden sein. Aber noch etwas anderes hatte in der Luft gehangen, etwas, das sie ebenso stark empfunden hatte, das sich auch nicht mit Händen greifen ließ: die stille, tödliche Feindschaft der beiden Frauen, die nach wie vor im selben Haus lebten.
    Sie spürte diese Feindschaft, als Eva und sie die Neugeborenen zur Taufe trugen. Weil es zwei Kinder waren, ganz kurz nacheinander geboren, und die Wehmutter nur ein Paar Arme hatte, durfte Theresa als Lehrmagd ausnahmsweise dieses wichtige Amt versehen, was sie mit tiefem Stolz erfüllte. Plötzlich wünschte sie, Gero könne sie so sehen. Aber ihr Bruder hatte offenbar, wie Cillie ihr unter dem Siegel der

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