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Die Prophetin vom Rhein

Titel: Die Prophetin vom Rhein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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wich er zurück und senkte schon im nächsten Moment schuldbewusst den Kopf, da er den Anblick der Verzweifelten und Entkräfteten, der ihr folgte, nicht länger ertragen konnte.
    »Ein Ritter schützt die Schwachen« - in einem anderen Leben hatte sein Vater das einst zu ihm gesagt, der Reichsgraf, der doch hätte wissen müssen, welche Grausamkeiten der Krieg allen abverlangt! »Verräter gehören bestraft.« Diese Lektion von Freimut hatte Gero geschluckt und verdaut. Aber konnte das auch für eine ganze Stadt gelten, die nicht genug Silber besaß, um sich freizukaufen?
    Der Letzte der Elenden war kaum aus dem Tor, da preschten Friedrichs berittene Männer schon an ihm vorbei, so ungestüm, dass er hart auf das Gesicht fiel und sich nicht mehr regte. Wenig später verdunkelten schwarze Rauchwolken den Frühlingshimmel über Tortona, der auch noch am Morgen darauf sein leuchtendes Blau nicht zurückerhalten hatte. Hielt man pechgetränkte Fackeln nah an Stroh, begann es zu lodern, das hatte Gero inzwischen mehr als einmal erlebt. Und noch etwas lernte er an diesem endlosen Tag dazu: Irgendwann brannten sogar Mauern aus Stein.

MAINZ - HERBST 1155
    Warum behandelte er sie noch immer wie ein Möbelstück, das man nach Belieben herumstoßen konnte? Magotas Verzweiflung wuchs von Woche zu Woche.
    Schließlich führte sie Adrian van Gent bereits seit geraumer Zeit den Haushalt, sorgte dafür, dass die Versammlung der Gläubigen, auch wenn er auf Reisen war, abgehalten werden konnte, wusch und kochte, wie ein angetrautes Eheweib es nicht anders hätte machen können. War ihr Äußeres, für das sie sich geschämt hatte, seit sie denken konnte, daran schuld? Damals, bei der Einkleidung, war sie dankbar für den strengen Habit der Benediktinerinnen gewesen, der alles gnädig verhüllte und schöne und hässliche Frauen schlichtweg in eine gleichförmige Schar frommer Schwestern verwandelte.
    Doch jetzt war alles wieder wie früher, als läge kein Jahrzehnt dazwischen, das sie in der Gemeinschaft der Nonnen verbracht hatte: Die Blicke der Männer auf dem Markt oder in den Gassen der Stadt peinigten sie, die gleichgültig oder mitleidig über ihre dürre Gestalt glitten, um sich sofort wieder Lohnenderem zuzuwenden.
    Das Gefühl, nicht richtig dazuzugehören. Die Angst, den anderen nur lästig zu fallen. Eine Ungeliebte, die nirgendwo angekommen war.
    All das kannte sie schon seit frühen Jugendtagen, als der Vater stets die Brüder vorgezogen hatte und die Mutter sie kaum hatte ansehen können, ohne einen verstohlenen Seufzer auszustoßen. Wie erleichtert sie damals doch alle miteinander gewesen waren, als Magota ihren Entschluss verkündet hatte, Nonne zu werden! Plötzlich konnte es nicht schnell genug gehen. Der Vater hatte sich geradezu überboten, Ackerland und Weingärten für ihre Mitgift
auszusuchen, die Mutter ihr immer wieder über die mageren Wangen gestrichen und versichert, dass sie sich nichts Schöneres vorstellen könne, als eine Braut Christi zur Tochter zu haben. Sogar Eckehard und Aldarich, ihre unnützen Brüder, hatten plötzlich eine aufgesetzte Freundlichkeit an den Tag gelegt, wozu sie einzig und allein die Vorstellung bewogen haben konnte, die störende Schwester für alle Zeiten loszuwerden.
    Bestimmt wussten sie zu Hause inzwischen längst, dass sie aus dem Kloster gewiesen worden war. Und wie sie die Magistra kannte, hatte Hildegard nicht einen Augenblick gezögert, der Grafenfamilie auch den Grund des Ausschlusses zu nennen. Zurück zu den Ihren konnte sie also nicht mehr. Und hätte es auch gar nicht gewollt - wäre alles so gekommen, wie sie es sich in ihren Träumen vorgestellt hatte.
    Leider war nichts davon eingetroffen. Zwar lebte sie mit dem Flamen und seinem Neffen unter einem Dach, wenn sich die beiden überhaupt in Mainz aufhielten, sie hätte aber genauso gut auch unsichtbar sein können. Ein einziges Mal hatte sie es gewagt, in Adrians Gegenwart eine vorsichtige Bemerkung darüber zu machen. Sie bereute dies sofort, kaum hatte sie ihre Lippen verlassen.
    Er hatte seinen lächerlichen Aufklapplöffel aus Silber sinken lassen, den er ständig mit sich trug, und anstatt die Linsensuppe zu probieren, an die sie stundenlang hingekocht hatte, hatte er sie mit einem scharfen, glitzernden Blick gemustert, der ihr das Blut in den Kopf trieb.
    »Mir scheint«, sagte er darauf kühl, »du bist heute leicht verwirrt, werte Schwester in Gott. Sonst würdest du dich sehr wohl daran erinnern, wie

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