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Die Prophetin vom Rhein

Titel: Die Prophetin vom Rhein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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der sie befreien würde. Da wurde die Last auf ihr plötzlich zur Seite gerissen, und sie konnte wieder frei atmen.
    »Peter!«, hörte sie Eva hinter sich rufen. »Was fällt dir ein? Lass sie sofort los!«

    »Sie hat mich verführt, dieses kleine Luder …«
    »Verschwinde!« Die Stimme der Wehmutter war eisig. »Aus dem Haus mit dir!«
    Peter senkte schuldbewusst den Kopf.
    »Und du, Theresa, bedeck dich wieder! Wir beide sprechen uns später.«

Zweites Buch
    REIFEN
    1156 BIS 1160

Fünf
    MAINZ - FRÜHLING 1156
    Nichts als Ratten, wohin man auch schaute!
    Theresa kannte die hässlichen Nager nur zu gut von der heimatlichen Burg, wo sie sich vor allem während der Wintermonate über die eingelagerten Vorräte hergemacht hatten. Auch Kloster Rupertsberg war trotz all seiner klug ausgelegten Giftköder von ihnen heimgesucht worden, was Schwester Benigna zu einigen ihrer seltenen Wutanfälle getrieben hatte, und in Bingen hatte das alljährliche Hochwasser sie oft gleich scharenweise in die Weinkeller und Häuser gespült.
    Doch solch eine Invasion, wie sie Mainz nun plagte, hatte Theresa noch nie erlebt. Kaum einen Schritt konnte man tun, ohne nicht schon wieder einen nackten Schwanz davonhuschen zu sehen. Ganze Rattenrudel schienen ihre Scheu mehr und mehr abzulegen. Am helllichten Tag tauchten sie nun auf den Gassen und dem Markt auf; selbst die Gotteshäuser blieben nicht von ihnen verschont. Bald schon machten entsetzliche Gerüchte die Runde: Gefräßige Ratten würden in die Kammern Sterbender eindringen und deren Augen auffressen, sich in den Wiegen der Neugeborenen verstecken, um die zarten Kehlen aufzureißen und junges Blut zu trinken. Ein angeblicher Zeuge trieb es besonders bunt und wollte sogar mit angesehen haben, wie sie auf offener Straße zu Dutzenden einen Mann attackierten, bis der unter ihren Bissen verendete. Dass der
übel malträtierte Leichnam dieses Opfers nirgendwo auftauchte, tat nichts weiter zur Sache. Unverdrossen wurden neue Geschichten gesponnen und mit immer noch widerlicheren Einzelheiten ausgeschmückt.
    Etwas Dumpfes, Graues lag über der Stadt, die den schlimmsten Winter seit Langem überstehen musste. Schwer ächzte Mainz unter den Auflagen, die Erzbischof Arnold, kaum war seine Fehde mit dem Pfalzgrafen von Stahleck beendet, den Bürgern aufgebürdet hatte.
    Der Kaiser hatte nach seiner Rückkehr aus Italien auf dem Reichstag zu Worms beide Kontrahenten mit der Harmschar bestraft, dem öffentlichen Hundetragen über eine Meile. Von dieser ehrverletzenden Strafe war der Erzbischof im letzten Augenblick lediglich aufgrund seines hohen Alters befreit worden; allerdings galt sie auch so als verhängt. Arnolds Ruf hatte ohnehin im Lauf der blutigen Auseinandersetzungen schwer gelitten. Einstmals angetreten, um die Verschwendungssucht seines Vorgängers Heinrich zu beenden und entstandenen Schaden wiedergutzumachen, wurde Arnold von Selenhofen nun sogar bezichtigt, eine kostbare Reliquie zu Gold gemacht zu haben, die schon vor langer Zeit dem Dom des heiligen Martin gestiftet worden war. Reich und Arm begannen, gegen einen Stadtherrn zu murren, der in ihren Augen sein hohes Amt missbrauchte.
    Gleichzeitig wuchs die Zahl der Hungrigen in Mainz von Tag zu Tag, manche von ihnen waren inzwischen so verzweifelt, dass ihr Betteln nahezu räuberische Ausmaße annahm. Propst Burchard von St. Peter zeigte schließlich Erbarmen und richtete aus Spendengeldern eine morgendliche Armenspeisung ein, die so regen Zulauf fand, dass sich bereits in der Dämmerung Menschenschlangen vor seinem Kloster bildeten, die um Nahrung anstanden.
Zwar trat eine leichte Besserung ein, als die Rheinschifffahrt im Frühling reger wurde und wieder mehr Männer im Hafen Arbeit fanden, doch für viele blieb das tägliche Leben nach wie vor ein harter, kaum bezwingbarer Kampf.
    Jetzt, wo es endlich langsam wärmer wurde, versuchte auch Theresa, die Schrecknisse der vergangenen Monate abzuschütteln. Dass Eva sie nicht länger im Haus hatte haben wollen, war für sie einer Vertreibung aus dem Paradies gleichgekommen. Keiner Bitte war die Hebamme zugänglich gewesen, obwohl Theresa immer wieder versucht hatte, sie doch noch umzustimmen.
    »Das Haus der Wehmutter muss ehrbar bleiben. Wenn bekannt wird, dass ich meiner Lehrmagd erlaube, Unzucht zu treiben, kaum habe ich ihr den Rücken zugekehrt - wer wird mich dann noch zu Geburten rufen?«
    »Aber Peter war es doch, der mich …«
    »Tu nicht unschuldiger, als du bist!

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