Die Prophetin vom Rhein
der breiten Narbe über dem Auge grinsend. »Schließlich bist du der Ältere. Ich bin zufrieden, wenn ich nach dir an die Reihe komme.«
Inzwischen hatte Theresa am ganzen Körper Gänsehaut.
Die nächstliegenden Häuser erschienen ihr dunkel und abweisend. Ob sich auch nur eine einzige Tür öffnen würde, wenn sie laut zu schreien begann? Vielleicht gelang es ihr ja, die beiden abzulenken.
»Ihr wart im Heer des Kaisers?« Ihre Stimme zitterte, doch sie hoffte, man hörte es nicht allzu sehr.
»Und ob!« Der Große kam gefährlich nahe. »Deshalb sind wir ja auch so aushungert, weil der gestrenge Rotbart keine Weiber ins Lager lassen wollte. Doch damit ist jetzt Schluss!« Er schielte zum Wägelchen. »Ein volles Fass hat sie auch gleich dabei. Kann also noch ein lustiger Abend werden!«
»Erzähl mir von dem blonden Knappen, der den schwarzen Herzog gerettet hat!« Verzweifelt redete sie gegen die entsetzliche Angst an, die in ihr aufstieg. »Weißt du denn noch, ob er ein lahmes Bein hatte?«
»Woher soll ich das wissen?« Der Mann packte sie am Arm und zog sie näher zu sich heran, ohne sich um seine Laterne zu kümmern, die Theresas Kleidung in Brand setzen konnte. »Ist doch auch ganz egal. Beine, Knappen, Herzöge - jetzt kommt es auf andere Dinge an.«
»Von mir aus kannst du das Fass haben«, sagte sie schnell. »Ich schenk es dir.«
»Das Fass?« Er grinste. »Das gehört uns doch schon. Genau wie du auch. Pass auf, Kleine: Du kannst dich wehren und uns sehr wütend machen. Du kannst aber auch brav sein. Dann wird dir nichts Schlimmes geschehen. Vielleicht gefällt es dir ja sogar!«
»Lass mich sofort los!«, schrie Theresa.
Verdächtig nah glaubte sie ein hohes Fiepen zu hören. Bis zum Bach war es nicht mehr weit, und dass Ratten Feuchtigkeit liebten, wusste jedes Kind. Warteten sie schon auf sie? Um über sie herzufallen, nachdem die beiden Kerle
mit ihr fertig waren? Nicht einmal die Graue war irgendwo zu sehen. Plötzlich fühlte sie sich noch verlorener.
»Nachher, Liebchen, nachher!« Ungeniert begann der Große sie zu betasten. »Arg mager für meinen Geschmack, aber in der Not frisst der Teufel Fliegen, so heißt es doch, oder?«
Der andere lachte dreckig.
Jetzt war der feuchte, schiefe Mund des Mannes ganz nah vor ihrem Gesicht. In ihr zog sich alles zusammen, so widerlich war er ihr, viel widerlicher noch, als Peter es ihr mit seinem rohen Gefingere gewesen war.
Was hatte Ada immer gesagt? Wenn du dich wehrst, musst du es mutig und entschlossen tun! Theresa machte den Zeigefinger ganz steif und stieß ihn dem Mann direkt ins linke Auge.
Er taumelte zurück, ließ die Laterne fallen und drückte die Hand an sein verletztes Auge, das heftig tränte. »Worauf wartest du, Wenzel?«, rief er den anderen herbei. »Hast du nicht gesehen, dass sie mich blind gemacht hat? Beweg deinen faulen Arsch her und zeig diesem kleinen Luder, was passiert, wenn man einem von uns so etwas antut!«
Der mit der Narbe war kleiner und drahtiger. Er umschlang Theresa von hinten und presste sein hartes Glied gegen sie.
»Nicht einen Mucks will ich hören!«, verlangte er, während er ihr den Arm immer weiter auf den Rücken drehte, sodass sie Angst bekam, er würde ihn ihr aus der Schulter reißen. »Und tu gefälligst, was ich sage! Sonst wirst du was erleben!«
Theresa öffnete den Mund und schrie erneut aus Leibeskräften, bis sie plötzlich einen heftigen Stoß erhielt, der sie gegen den Leiterwagen schleuderte. Ein paar Momente
fiel ihr das Atmen schwer, weil die Rippen so schmerzten, dann jedoch rappelte sie sich auf.
Ein Dritter war aus dem Dunkel aufgetaucht, kräftig, hochgewachsen, in einen braunen Walkmantel gehüllt. Den mit der Narbe hatte er bereits mit ein paar Faustschlägen zu Boden gestreckt, wo der sich wimmernd krümmte. Jetzt ging er langsam und bedrohlich auf den anderen los.
»Ich sorg dafür, dass dir das Hirn aus dem Schädel spritzt, wenn du sie noch ein einziges Mal anfasst«, sagte er. »Hast du mich verstanden?«
Der betrunkene Pferdeknecht nickte eifrig. »War doch bloß ein kleiner Spaß«, murmelte er. »Mehr nicht …«
»Haut ab!« Die Stimme war eisig. »Alle beide. Und zwar schnell, bevor ich es mir noch einmal anders überlege!«
Der Große half dem anderen auf. Sich gegenseitig stützend, verschwanden die beiden in der Nacht.
Theresa starrte Willem an, unfähig, sich zu rühren. Bislang war er ihr stets scheu und zurückhaltend erschienen, als trage er an
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