Die Prophetin vom Rhein
ruhiger machen. Und den Kleinen stillst du mindestens zwei Jahre«, flüsterte ihr die Wehmutter zu, während sie die bereitgelegten Münzen einstrich. »Wenn möglich, sogar länger. Dann hast du erst einmal Gelegenheit zum Durchschnaufen. Vielleicht hat die Gottesmutter ja auch ein Einsehen und lässt dir in der Zwischenzeit das lästige Geblüt versiegen - dann kannst du das Wochenbett für immer vergessen.«
Meistens aber zog Meline allein los und weigerte sich regelrecht, Theresa zu Geburten mitzunehmen. Oder sie schickte sie nach nebenan, sobald Frauen an ihre Tür klopften und um Hilfe baten.
»Wie soll ich da etwas dazulernen?«, hatte Theresa schon mehrmals aufbegehrt. »Bei Eva durfte ich immer dabei sein. Und meine Fragen hat sie auch beantwortet - alle!«
»Wieso bist du dann nicht bei deiner heiligen Eva geblieben?« Melines scharfer Tonfall machte Theresa sofort stumm. »Augen zum Schauen hast du, also mach sie gefälligst auf, dann wirst du schon genug lernen! Ich brauch dich eben ab und zu für andere Dinge, die ebenso wichtig sind, damit ich meine Arbeit gut verrichten kann. Eines gleich mal vorab: Eine Wehmutter braucht vor allem Geduld. Das ist das Wichtigste, was erst einmal in deinen Schädel muss.«
So fanden sich Tag für Tag tausenderlei Aufgaben, die Theresa für Meline verrichten sollte.
»Ab zum Winzer, Mädchen!« Wieder einer der Aufträge, die Theresa am wenigsten mochte, weil es ihr unangenehm war, mit dem Leiterwagen, in dem ein volles Fässchen gluckste, durch die Gassen zu laufen und dabei von allen angestarrt zu werden. Doch Meline war dem Rebensaft alles andere als abgeneigt und brauchte offenbar dringend Nachschub. »Kannst auf dem Rückweg auch noch gleich beim Bader vorbeischauen. Er hat versprochen, neues Rattengift zu mischen, mit dem wir diesen widerlichen Biestern dank Eisenhut und seinen hilfreichen Geschwistern endlich den Garaus bereiten können.«
Seufzend machte Theresa sich auf den Weg, schnellen Schritts, weil es bald dunkel werden würde. Sobald die Sonne sank, merkte man erst, wie kühl die Luft noch war. Immer wieder blieb Theresa stehen und zog den Umhang enger über der Brust zusammen. Wenn sie jetzt nur einen der warmen Walkumhänge hätte, mit denen Willem seit einiger Zeit Handel trieb!
Allein der Gedanke daran hob ihre Laune deutlich.
Sie lächelte noch immer, als sie das Nasengässchen erreichte und vorsichtig die schmale Treppe hinabstieg. Bisher hatte sie sich stets gleich nach rechts gewandt, wo die Fässer im Weinkeller in Reih und Glied lagerten. Zu ihrer Überraschung hatte Hennel, der Winzer, jedoch inzwischen zur Linken eine Art Vorraum getüncht und dort ein paar Tische und Bänke aufgestellt, an denen im Schein von Ölfunzeln ein Häuflein Zecher Platz genommen hatte. Der Lautstärke nach zu schließen, schienen sie bereits eine ganze Weile zu trinken. Den Winzer jedoch entdeckte Theresa nirgendwo.
»Wo steckt denn Hennel?«, fragte sie den nächstbesten Gast.
»Oben. Bei seinem Weib. Die Allerärmste muss vorhin wieder einmal bös gestürzt sein.« Der Mann setzte ein anzügliches Grinsen auf und tat, als führe er einen Becher an die Lippen, den er in einem Zug leerte. »Welch ein Unglück! Magst nicht einstweilen mit uns anstoßen, schöne Jungfer?«
Theresa schüttelte den Kopf und zog sich ein paar Schritte zurück. Der Geruch nach Wein und feuchtem Holz erinnerte sie an Peter, von dem sie schon mehrmals geträumt hatte, seit sie bei Meline lebte. Ob er es wirklich wagen würde, sie in Mainz aufzusuchen, wie er es vor ihrer Abreise angedroht hatte? Wenn es nach ihr ginge, brauchte sie ihn niemals mehr im Leben zu sehen. Am liebsten hätte sie auf der Stelle kehrtgemacht, um diese unliebsamen Erinnerungen so schnell wie möglich wieder loszuwerden. Doch wenn sie ohne Wein nach Haus kam, würde sie Melines schlechte Laune ausbaden müssen. Hennel und seine trunksüchtige Frau stören wollte sie aber auch nicht. Sie entschied sich zu warten. Vielleicht hatte sie ja Glück, und der Winzer kam bald zurück.
Die Zecher schienen ihre Anwesenheit vergessen zu haben und unterhielten sich lautstark weiter: »Ja, beinahe hätten sie das ganze Heer versenkt - uns alle und zwar mit Mann und Maus!«, grölte einer. »Diese hinterlistigen Veroneser, die unserem Kaiser einen heimtückischen Hinterhalt gestellt haben. Wie unheimlich diese elende Schiffsbrücke geschwankt hat! Und dann auch noch der Überfall der Berittenen in der Klause, die uns
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