Die Prophetin vom Rhein
vertrieben.« Hedwig klang zufrieden. Sie nahm den Krug und schenkte Holunderwein in zwei Becher ein.
»Aus Bingen - ja. Doch was ist mit den anderen Städten? In Mainz kriechen sie wie Ratten aus den Löchern und scheinen sich so schnell wie Ungeziefer zu vermehren, obwohl sie doch den Leib verachten und alles Geschlechtliche strikt ablehnen.«
»Ist das nicht etwas, das der Kaiser wissen sollte?«, fragte Schwester Hedwig. »Schließlich ist er der oberste Hüter und Beschützer seiner Kirche.«
»Friedrich hat zurzeit ganz andere Sorgen«, erwiderte die Magistra. »Hugo hat mir berichtet, wie müde und geschlagen die kaiserlichen Ritter aus Italien zurückgekehrt sind. Kaum hatten sie die Alpen überquert, erhoben sich die lombardischen Kommunen erneut. Friedrich wird abermals gen Süden ziehen müssen, wenn er sie dauerhaft niederschlagen möchte, und das womöglich schon bald. Doch jetzt will der kühne Rotbart ja erst einmal ein neues Weib freien. Am Pfingstfest zu Würzburg. Man sagt allerdings, Beatrix von Burgund sei fast noch ein Kind.«
»Die berühmte Prophetin vom Rhein hat er aber nicht dazu eingeladen. Wäre das nicht ein Akt der Höflichkeit gewesen, der ihm gut angestanden hätte?«
Hildegard nahm einen Schluck und schob den Becher zur Seite, was die andere mit Besorgnis zur Kenntnis nahm. Wenn die Magistra aufgewühlt war, vergaß sie zu essen und zu trinken, egal, welch große Mühe sich Clementia mit ihrer Küche auch gab. Leider ließen dann Anfälligkeit und Schwäche nicht lange auf sich warten.
»Was hätte eine einfache Magistra wie ich bei solch einem fürstlichen Spektakel schon verloren?«, rief Hildegard. »Außerdem hab ich ihm bei unserer Begegnung nicht gerade nach dem Mund geredet. Was dem Kaiser offenbar gar nicht gefallen hat.«
Eine Weile wurde es still im Scriptorium. Draußen hörte
man den Wind pfeifen, der den letzten Schnee schon vor einer ganzen Weile geschmolzen hatte und nun von Tag zu Tag mehr Frühling brachte.
»Eigentlich geht es dir doch vor allem um Theresa, nicht wahr?«, sagte Hedwig schließlich und schob den Becher unauffällig wieder in Richtung der Magistra. Sie hatte ihre eigene Methode, auf Hildegard aufzupassen, was meistens hilfreich war, wenngleich nicht immer. »Sie ist es, die dir nicht aus dem Kopf will.«
»Wie denn auch? Sie war doch schon eine von uns - beinahe jedenfalls. Dass das Mädchen nun nicht mehr bei uns lebt, hat nicht nur Benigna trübselig werden lassen, die in Theresa schon ihre perfekte Nachfolgerin gefunden zu haben glaubte.«
»Theresa taugt nicht zur Nonne, das hat sie bewiesen.« Es kostete Hedwig Mut, diese Worte zu sagen, doch sie tat es.
Hildegard nahm den Becher und trank. Und dieses Mal war der Becher leer, als sie ihn wieder abstellte.
»Als ob ich das nicht wüsste! Aber hätte sie nicht wenigstens bei Eva bleiben können, die nah bei uns lebt und uns seit Langem vertraut ist? Doch die Wehmutter wollte das Mädchen um keinen Preis weiterhin im Haus behalten, und du weißt, was das bedeutet, denn du kennst Eva ebenso gut wie ich. Das heiße Blut ihrer toten Mutter - ich hoffe nur, es wird Theresa eines Tages nicht auch zum Verhängnis! Dass sie nun ausgerechnet in Mainz ansässig sein muss, wo …« Sie verstummte.
Hedwigs tintendunkle Hände vollführten eine anmutige Bewegung. »Weshalb siehst du nicht nach ihr?«, fragte sie. »Du weißt doch, wo sie wohnt. Bei Meline, jener entfernten Base von Josch.«
Die Magistra rührte sich nicht.
»Wolltest du nicht ohnehin den Erzbischof aufsuchen? Damit seine Urkunde endlich schriftlich fixiert, was Abt Kuno uns schon so lange versprochen hat?«
»Damit Arnold von Selenhofen mich erneut demütigt, weil ich als schwaches Weib niemals in der Lage sei, ein Kloster wie den Rupertsberg zu leiten? Darauf kann ich verzichten!«
»Vieles hat sich inzwischen geändert«, gab Hedwig zu bedenken. »Du hast Kunos Wort …«
»Das er jederzeit wieder brechen kann. Vielleicht kommt der Erzbischof ja irgendwann einmal zu uns. Wäre dann nicht die beste Gelegenheit dazu? Wenn er selbst sieht, was wir alles aus eigener Kraft geschaffen haben - eine Schar schwacher Weiber, die nicht nur dem Untergang getrotzt, sondern auf diesem heiligen Berg etwas ganz Besonderes zustande gebracht hat?«
»Ich fürchte, auf diesen Besuch werden wir vergebens warten. Hat er nicht gerade, wie du mir erst neulich berichtet hast, in Mainz mit seinen aufsässigen Bürgern genug zu tun?«
»Arnold
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