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Die Prophetin vom Rhein

Titel: Die Prophetin vom Rhein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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befindet sich zurzeit gar nicht in Mainz. Er wurde von Papst Hadrian nach Rom zitiert, um dort weitere Vorwürfe auszuräumen, die man gegen ihn erhoben hat. Das weiß ich von Hugo.«
    »Dann suchst du ihn eben auf, sobald er wieder zurück ist!«
    »Solch ein Schritt will gut überlegt sein«, wandte Hildegard ein. »Denn falls Arnold mein Anliegen erneut ablehnt, könnte der Rupertsberg schlechter dastehen als zuvor. Ein Risiko, das ich nicht eingehen werde.«
    »Ich denke, du solltest dich trotzdem dazu entschließen. Nur so wird dein Gemüt wieder hell und frei.« Hedwig zögerte kurz, redete dann aber entschlossen weiter. »Und
noch etwas, hochwürdige Mutter: Falls du tatsächlich irgendwann nach Mainz reiten solltest, so nimm auf alle Fälle Benigna mit. Sie träumt schon so lange von nichts anderem.«
    »Woher willst du das wissen?«
    Hedwig lächelte. »Du bist nicht die Einzige, die in die Herzen der Menschen schauen kann«, sagte sie. »Manchmal gelingt das sogar einem alten Bücherwurm wie mir.«

MAINZ - FRÜHSOMMER 1156
    Es wurde still im Raum, als Adrian van Gent das Wort ergriff. An die fünfzig Menschen hatten sich zur abendlichen Stunde versammelt, so viele wie noch nie zuvor, Frauen jeden Alters und Männer, ältere und solche, denen der Flaum gerade erst gewachsen war. Zwei Wände hatten sie durchbrechen müssen, um genügend Platz im Erdgeschoss des Hauses am Brand zu schaffen, und noch immer lag der Geruch nach frischem Holz in der Luft, der von den neu gezimmerten Hockern aufstieg.
    Seine Stimme war leise und sanft, als er sie zunächst alle freundlich willkommen hieß. Doch der Flame hätte nicht zu Recht als einer der berühmtesten Prediger der guten Christengemeinde gegolten, hätte er nicht über das gesamte Repertoire verfügt, das einen begnadeten Redner auszeichnet. Bald schon hatte sein Tonfall das Schmeichlerische verlassen, war lauter geworden und schärfer, und als er jetzt zu seiner ersten Abrechnung ansetzte, schienen unter seinen Worten alle Anwesenden ein ganzes Stück kleiner zu werden.
    »Geistwesen sind wir«, donnerte er, von Kopf bis Fuß in
kostbares schwarzes Tuch gehüllt, das seinen schlanken Körper perfekt zur Geltung brachte. »Vom guten Gott erschaffen und von ihm beschenkt mit einer unsterblichen Seele, die sich nach dem Licht sehnt, ihrer wahren, einzigen Heimat. Jeder von uns verfügt über Einsicht und Willenskraft und wäre folglich sehr wohl in der Lage, den Einflüsterungen des Fleisches zu widerstehen. Und doch fehlen wir und sündigen wir immer wieder aufs Neue - und begeben uns damit auf direktem Weg in die Hände Satans.«
    Magota beobachtete, wie blass Willem geworden war, der ausnahmsweise nicht wie sonst in der ersten Reihe saß. Onkel und Neffe hatten sich gestritten, seit Adrian, der neu erwählte Diakon, von seiner jüngsten Missionsreise zurückgekehrt war; mehr als einmal, das hatte sie belauscht, doch niemals zuvor so heftig wie gestern Abend. Um Willems Walkwaren war es wieder einmal gegangen, ein Geschäftszweig, den Adrian ganz und gar nicht billigte und den er am liebsten eher heute als morgen aufgegeben hätte. Geld-, vor allem aber Zeitverschwendung sei es, was der Jüngere sich mit diesem unsinnigen Abenteuer leiste, und er solle die kostbare Zeit besser darauf verwenden, endlich zu einem der Vollkommenen zu werden, wie die ständig wachsende Gemeinde sie so dringend brauche. Doch dieses Mal hatte der Neffe nicht klein beigegeben. Er sei erwachsen, sein eigener Herr und es gründlich leid, stets zu tun, was der Onkel von ihm verlange. Die Herstellung von Walkstoff würde er weiterhin betreiben und sogar ausbauen - so laute sein letztes Wort. Seitdem herrschte Schweigen zwischen den beiden, so abgrundtief und eisig, dass auch Magota sich ganz elend fühlte.
    Ihr Blick glitt weiter zu denen, die sie bereits kannte, einfache Gläubige, die wie sie versuchten, nach den strengen
Gesetzen der Lehre zu leben, und doch ebenso wie sie immer wieder daran scheiterten. Die allmonatliche Beichte, Pflicht für alle, die sich zu den guten Christen zählten, bot Gelegenheit, solche Verfehlungen öffentlich zu bekennen: Trudi, die es einfach nicht fertigbrachte, ihrem Hanns das eheliche Beilager abzuschlagen, und sich damit besonders sündig machte, denn eheliche Liebe galt als öffentliche Hurerei. Walther, der nicht von seiner falsch geeichten Waage lassen wollte oder konnte, mit der er auf dem Markt ahnungslose Kunden prellte. Irmgart, die vor Kurzem

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