Die Prophetin vom Rhein
seinem Onkel, mit halb geöffneten Lippen, als sei er drauf und dran, ihm etwas zornig entgegenzuschleudern. Dann schüttelte er den Kopf, drehte sich um und stürzte wortlos hinaus.
WÜRZBURG - PFINGSTEN 1156
Das schönste Mädchen, das er jemals gesehen hatte!
Gero konnte kaum noch schlucken, so aufgeregt war er auf einmal. Langes Haar floss ihr bis zur Hüfte, glänzend und dicht, dessen Farbe ihn an ein Kornfeld im Mondlicht erinnerte. Ihr Gesicht war rund und klar, geschmückt mit vollen Lippen und einer kecken kleinen Nase. Das zarte Blau ihres Gewandes ließ die Augen strahlen, während kunstvoll geschnürte Goldbänder die schlanke Taille noch zerbrechlicher wirken ließen.
»Maul zu!«, zischte Freimut von Lenzburg neben ihm. »Du kannst doch die Kaiserin nicht derart unverschämt anstarren!«
»Das soll Barbarossas Braut sein?« Vor Schreck war Gero laut geworden. »Aber er ist doch fast schon ein alter Mann - und sie noch ein Mädchen!«
»Wie unbarmherzig die Jugend ist!«, rief der Ritter. »Wie überheblich in ihrer Gnadenlosigkeit und Kraft!« Er lächelte. »Der Kaiser ist ein Mann in den besten Jahren und die Kaiserin gerade im richtigen Alter, um ihm möglichst viele Erben für seinen Thron zu schenken. Zudem kommt Beatrix von Burgund nicht mit leeren Händen: Mehr als fünftausend Ritter bringt sie mit und Kisten voller Gold, alles Dinge, die er dringend gebrauchen kann - mehr noch als die hohe Geburt der schönen Byzantinerin, die wohl seine erste Wahl gewesen wäre.«
Der starke Regen der letzten Tage war gegen Mittag abgeklungen. Nun strahlte eine leuchtende Sonne über der Bischofsstadt. Alle waren sie gekommen, um die kaiserliche Braut zu bestaunen; auf dem Weg vom und zum Kiliansdom standen die Menschen dicht gedrängt und gafften sich die Augen halb aus dem Kopf.
»Wenn du dich nicht endlich wie ein Edelmann benimmst, schick ich dich sofort zurück ins Lager«, ermahnte der Ritter seinen Knappen, der nicht aufhören konnte, zu starren und zu staunen. »Dann kannst du dort abwarten, bis alles vorüber ist.«
»Aber wir wollten doch zu Herzog Heinrich! Das hattet Ihr mir fest versprochen …«
»Dann weißt du ja jetzt, was du zu tun hast!« Der Tonfall machte unmissverständlich klar, dass jedes weitere Widerwort gefährlich war.
Gero zog den Kopf ein und verstummte. Dafür tobte der Kampf in seinem Herzen umso heftiger weiter. Kommenden Winter würde er sechzehn werden, und er war noch immer kein Ritter, der sein Schwert schwingen und in den Kampf ziehen durfte. In den letzten Monaten war er derart in die Höhe geschossen, dass der alte Gambeson seines Herrn ihm inzwischen perfekt passte. Vom langen Gebrauch war er allerdings zu zerschlissen, um weiterhin getragen zu werden. Deshalb hatte Freimut von Lenzburg ihm einen neuen schneidern lassen, aus blauem wattiertem Stoff, und er führte ihn heute zum ersten Mal aus.
Die Farbe ließ Geros Gesicht frisch und sein Haar noch heller wirken. Doch was nützte das schönste Gewand der ganzen Welt, wo es ihm doch einzig und allein auf Kämpfen und Siegen ankam? Er war diese endlose Warterei von Herzen leid.
»Sein erstes Weib ist der Kaiser offenbar ganz bequem losgeworden«, hörte er im Vorbeireiten eine Alte zu ihrer Nachbarin sagen. »Unfruchtbar soll sie gewesen sein und ihm zudem auch noch Hörner aufgesetzt haben.«
»Das muss sich ein Kaiser wie unser Rotbart nicht bieten lassen!«, rief die andere. »Er hat wahrlich Besseres verdient als eine Ehebrecherin.«
Geros Herz begann zu hämmern. Plötzlich hatte er wieder das Bild der Mutter vor sich, die sich elend und in Agonie auf dem harten Boden jenes kargen Gästehauses auf dem Rupertsberg wälzte. In seinen Augen war es bis heute Ehebruch, was sie begangen hatte, obwohl sein Vater damals vermutlich schon seit Jahren tot gewesen war. Auf alle Fälle hatte Ada sein Andenken beschmutzt, indem sie sich mit dem Bastard des Onkels eingelassen hatte. Welch schreckliche Folgen diese verbotene Liebschaft für die ganze Familie gehabt hatte! Alles hatten sie verloren, den Besitz, ihr geliebtes Zuhause - und schließlich sogar sich selbst.
Zum ersten Mal seit Langem erlaubte Gero es sich, an Theresa zu denken, was er sonst immer schnell wieder wegschob, weil es ihm zu wehtat. Ob sie inzwischen den Ewigen Schleier genommen hatte und eine der frommen Schwestern geworden war und ihn längst vergessen hatte?
»Wir sind am Ziel«, hörte er seinen Herrn neben sich sagen. »Dort drüben
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