Die Prophetin vom Rhein
und bis hinunter zum Main wird gefeiert. Schau doch nur, eine richtige Zeltstadt! Und überall flattert das kaiserliche Wappen im Wind.«
Eine leichte Brise wehte Musikfetzen zu ihnen herüber, und je näher sie kamen, desto verführerischer roch es. Ochsen drehten sich an großen Spießen, Spanferkel wurden gebraten, Fische steckten an dünnen Ästen über der Glut. Auf langen Tischen stapelten sich Köstlichkeiten wie Schüsseln voller Süßspeisen aus Milch und Gelee, Kuchen und kunstvoll verzierte Marzipanstückchen. Gero gingen schier die Augen über, und er fühlte sich hungrig wie ein junger Wolf.
»So viel, wie es hier gibt, kannst nicht einmal du verdrücken.« Der Ritter schien regelrecht Gedanken lesen zu können. »Du wirst satt, sei unbesorgt! Allerdings nur, wenn
du dich weiterhin wie ein junger Edelmann aufführst. Komm, wir beide setzen uns dort drüben hin, zu den anderen Kämpfern!«
»Dort drüben«, das waren die einfacher gedeckten Tafeln, an denen die weniger wichtigen Gefolgsleute untergebracht waren, was Gero augenblicklich registrierte. Es gelang ihm, eine Weile den Mund zu halten, und das wiederum schien seinem Herrn zu gefallen, denn Freimuts Züge entspannten sich, und er sah auf einmal so gelöst aus wie schon lange nicht mehr. Die Männer aßen und tranken ausgiebig, und trotz solch ausgefallener Genüsse wie gesottenem Kapaun, Kalbsbrust, Entenbraten und Pfauenfleisch spürte Gero nach einer Weile die ungewohnte Wirkung des schweren Weins, der in seinem Kopf kreiste. Auf einmal hielt es ihn nicht mehr länger auf der harten Bank. Er sprang auf und wollte weg, in Richtung der Musikanten, die ein Stück entfernt zum Tanz aufspielten. Doch die Hand des Ritters hinderte ihn gebieterisch daran.
Vor ihnen stand der Vetter des Kaisers, Herzog Heinrich von Sachsen, der, wie alle munkelten, binnen weniger Wochen Bayern als zweites Herzogtum zurückerhalten sollte.
»Da sind sie ja, meine kühnen Lebensretter!« Ein Lächeln erhellte sein sonnengebräuntes Gesicht. Der schwarze Bart war säuberlich gestutzt und unterstrich die kantigen Züge. Er verbarg nicht das energische Kinn, das einem als Erstes auffiel. Sein Gambeson war rot und mit Borten geschmückt. Hätte man nicht gewusst, dass Friedrich der Kaiser war, man hätte glatt ihn dafür halten können.
Freimut von Lenzburg erhob sich und verneigte sich tief. Nach einem aufmunternden Schubs tat Gero es ihm nach.
»Stets zu Diensten, Durchlaucht«, sagte der Ritter. »Ich freue mich, Euch hier so wohlauf zu sehen.«
Die dunklen Augen Heinrichs musterten die beiden freundlich.
»Woher könnt ihr eigentlich so gut schwimmen?«, wollte er wissen. »Die Fluten der Etsch waren reißend und kalt. Für mich wären sie um ein Haar zum eisigen Grab geworden. Aber ihr beide habt nicht einen Lidschlag gezögert, euch hineinzustürzen und mich zu retten.«
»Mein Vater hat mir in der Donau das Schwimmen beigebracht«, krähte Gero vorlaut. »Da war ich noch sehr klein. Sogar im Winter sind wir gemeinsam untergetaucht. Nur wer sich das traut, hat mein Vater immer gesagt, muss niemals mehr Angst vor dem Wasser haben.«
»Dein Vater?«
»Reichsgraf Robert von Ortenburg«, erwiderte Gero voller Stolz. »Der im letzten Kreuzzug sein Leben für König Konrad gegeben hat.«
»Euer Knappe ist der Sohn eines Reichsgrafen?«, fragte der Herzog überrascht.
»Die komplizierte Geschichte einer bedauerlichen Familienfehde.« Freimut, der trotz vieler Fragen noch längst nicht alle Einzelheiten aus Geros Vergangenheit kannte, war nicht in der Stimmung, mehr darüber preiszugeben. »Als ich ihn im Straßengraben fand, hatten Räuber ihn halb totgeschlagen und sein letztes Hemd gestohlen. Doch Gero ist ein Kämpfer, und er lernt schnell. Seitdem hat er sich prächtig entwickelt.«
Der Herzog griff nach einem Becher. Sofort eilte ein Page herbei und füllte ihn mit Wein.
»Ich könnte tapfere Männer wie euch gut gebrauchen, die keine Angst vor wildem Wasser haben«, sagte er. »In Bayern, meinem neuen alten Herzogtum. Dort im Süden fließt ein reißender Fluss, den sie Isar nennen. Über den wird in meinem Namen bald eine neue Brücke errichtet
werden, die mir ordentlichen Zoll einbringen könnte. Vorausgesetzt allerdings, die Salzfuhrwerke benutzen sie auch in großer Zahl.«
»Warum sollten sie das nicht tun, wenn sie über den Fluss müssen?«, rief Gero. »Fuhrwerke können doch nicht schwimmen!«
Der Herzog lächelte.
»Ich nehme an, weil es
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