Die Prophetin von Luxor
Bein. Alle Ermahnungen, keine fremden Tiere zu streicheln, die man Chloe als Kind eingetrichtert hatte, waren wie weggeblasen, als sie neben dem Tier niederkniete. Es sah aus wie eine Art Katze und schnurrte wie ein kleines Motorboot. Fragend blickten die kleinen Augen zu ihr auf, und wie ein
Schlag traf Chloe die Erkenntnis, daß sie wie Cheftus’ aussahen, golden und bernsteingelb. Der Kater (sie konnte sehen, daß es einer war) hatte dunkle, honigfarbene Streifen in seinem Pelz und große, spitz zulaufende Ohren mit einer Aureole aus goldenem Fell darum. Sein Schwanz war lang und glatt und mit einer langen, dunklen, honigfarbenen Spitze versehen. Er rollte sich auf den Rücken, um sich an ihrer Sandale zu reiben, und Chloe erkannte, warum er so geschrien hatte.
Auf seinem Fell war ein armreifgroßer dunkler Fleck aus getrocknetem Blut, aus dem eine mit Sand und Schmutz verklebte Wunde leuchtete. Der Kater senkte den Kopf, um daran zu lek-ken, und sie sah, daß seine rosa Zunge ebenfalls einen Schnitt hatte. Sie hob ihn hoch, ängstlich darauf bedacht, die Wunde nicht zu berühren.
»Aii! Du bist aber schwer«, sagte sie und setzte all ihre verbliebene Kraft ein, das schwere, sich windende Fellbündel festzuhalten. »Was hast du denn da, kleiner Kater?« murmelte sie und besah sich die Wunde genauer. Sein Schnurren verstummte, doch er blieb still in ihren Armen liegen, während sie behutsam die Stelle abtastete und untersuchte. Ein langer Dorn steckte in seiner Flanke. Er war abgebrochen, doch das herausstehende Ende war ebenfalls spitz - wahrscheinlich hatte er sich daran die Zunge verletzt. Der Kater beobachtete sie aus wissenden Augen, und Chloe sah ihn gerade an. »Das muß Cheftu machen«, sagte sie und wickelte ihn in ihren Umhang.
Es war ihr nicht möglich, ihn zu tragen, doch sobald er erkannt hatte, daß sie die Felsen hinunterkletterte, ging er ihr voran und wartete in regelmäßigen Abständen auf sie. Mit ein paar Kratzern und blauen Flecken schaffte sie es nach unten. Als sie wieder bei ihrem Felsen angekommen waren, schlief Cheftu immer noch, obwohl das Sonnenlicht nur noch wenige Ellen von ihm entfernt war. Chloe beobachtete, wie sich das Tier Cheftu näherte und sich neben ihn hockte. Der Kater betrachte-te den schlafenden Menschen, gähnte und maunzte dann entschieden.
Cheftu fuhr mit einem Fluch auf. Chloe kicherte, als sie seine wütende Miene sah, bis sie begriff, daß er sein Messer in der Hand hielt. Der Kater, der klugerweise einen Satz rückwärts gemacht hatte, kam jetzt wieder näher, als wollte er ein Bewerbungsgespräch führen.
Cheftu ließ sich zurück in den Sand fallen. »Bei allen Göttern, Chloe! Willst du, daß ich vor meiner Zeit graue Haare kriege?« Der Kater ließ sich neben Cheftu nieder und blickte ihm ins Gesicht. »Was ist das?« krächzte Cheftu, während der Kater die Haltung einer Sphinx einnahm, wobei die ausgestreckten Pfoten in der Luft zuckten.
»Es scheint eine Art Kater zu sein, Cheftu. Er ist verletzt.«
Argwöhnisch tätschelte er das Tier und folgte dessen Bewegungen mit behutsam tastenden Fingern. »Wo ist seine Mutter?«
»Das weiß ich nicht. Wieso?«
Cheftu schrubbte sich mit beiden Händen über sein Gesicht, um endlich wach zu werden. »Weil Löwinnen es nicht so gern haben, wenn man ihre Jungen stiehlt! Wo hast du ihn gefunden?«
Chloe blickte auf das Fellbündel im Sand. »Das ist ein Löwe?«
»Ja. Aus den Bergen.« Cheftu erhob sich mühsam und zog seinen Schurz zurecht, ehe er ihre wenigen Habseligkeiten in seinen Korb packte. »Wir müssen machen, daß wir fortkommen.« Er sah sich ängstlich um. »Sonst werden wir überhaupt nicht mehr fortkommen!«
»Er ist verletzt, Cheftu! Können wir ihm nicht wenigstens den Dorn ziehen?«
Der kleine Löwe setzte sich vor Cheftu auf, der vorsichtig und mit beschwichtigenden Worten den Leib des Tieres abtastete.
»Kannst du ihm helfen?« fragte Chloe.
Cheftu zog eine Braue hoch.
»Ich habe schon Gehirnoperationen durchgeführt, also werde ich wohl auch einen Dorn entfernen können.« Er öffnete seinen Medizinkoffer und machte sich auf die Suche nach einer breiten Pinzette. Schließlich gab er sich mit einer spitzen zufrieden. »Das wird ihm gar nicht gefallen. Wickle ihn bitte in ein paar Tücher und halte ihn fest.« Er reichte ihr ein medizinisches Fett, mit dem sie die Stelle einreihen sollte, damit sich der Dorn leichter herausziehen ließ.
Trotz seiner verzweifelten Gegenwehr wickelten
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