Die Prophetin von Luxor
Gefühl, daß er das alles gestern abend getan hatte, und spürte von neuem ihr schlechtes Gewissen. Er erhob sich, starrte über das Wasser und meinte knapp: »Ich werde uns ein paar Ziegel für ein Haus machen und einen Vogel für unser Mittagessen fangen.«
»Einverstanden«, erklärte Chloe betreten. »Aber dafür mache ich das Abendessen.«
»Wie du wünschst«, erwiderte er und stapfte zu einer anderen Höhle davon, wo er sein Zeug verstaut hatte.
Während sie aufstand und das Feuer löschte, wünschte sie, sie hätte eine Ahnung, was sie jetzt anfangen sollte. Tränen rannen langsam über ihr Gesicht, und sie vergrub es schluchzend in den Händen. Ein paar Sekunden vergingen, dann spürte sie, wie Cheftu sie umarmte, wie seine starken Arme sie drückten. »Weine nicht, Geliebte. Wir werden es schon schaffen. Ich paß auf dich auf.«
Sie schob ihn von sich weg. »Ich will nicht, daß du auf mich aufpaßt! Ich führe mich wie ein Kind auf, und ich kann mich selbst nicht leiden! Aber ich kann nicht anders!« Tränen liefen ihr über die Wangen. »Ich will dir gleich sein! Ich ertrage es nicht, daß du glaubst, ich bin schwach und nutzlos! Ich bin nicht RaEmhetepet!« Er streckte die Hand wieder nach ihr aus, doch sie wandte sich ab und weinte in ihre Hände. Der junge
Löwe strich an ihrer Wade vorbei und ließ sein balsamgleiches Schnurren hören. Weinend hob sie ihn hoch und hielt ihn fest, so daß die Tränen in sein fischiges Fell fielen.
Behutsam sagte Cheftu: »Ich bin verwirrt, Chloe. Ich hatte noch nie eine derartige Verantwortung zu tragen. Dein Leben ist ein Geschenk, das ich sorgfältig hüten muß.« Er schnaubte verächtlich. »Ich habe noch nie ohne Diener gelebt - weder hier noch in Frankreich. Wie ich mich verpflegen kann, weiß ich nur von meinen Jagdausflügen und aus der Armee.«
Er drehte sie zu sich her und legte einen Finger unter ihr Kinn. »Leider weiß ich nicht, wie ich dir Sicherheit geben kann. Wir leben hier am Rande der Wüste; ich habe keine Ahnung, wo wir sind. Wir können nicht wagen, nach Ägypten zurückzukehren, weil ich verbannt bin und du eigentlich tot sein solltest. Wenn wir zu den Nomadenvölkern in der Wüste fliehen, werden sie mich umbringen, um dich heiraten zu können. Wenn wir irgendwohin gehen, um Handel zu treiben, werden wir auffallen«, er lächelte grimmig, »allein schon wegen deiner Augen. Mein einziger Gedanke ist es, dich zu beschützen und uns irgendein Leben aufzubauen. Dann will ich dich nach Ägypten und in deine eigene Zeit zurückbringen«, versprach er müde.
»Du bist nicht für mich verantwortlich, Cheftu«, widersprach Chloe. »Ich bin es selbst.«
Zum ersten Mal an diesem Morgen sah er sie wirklich an. »Ich weiß sehr gut, daß du selbst für dich sorgen kannst, doch ich bin für dich verantwortlich, weil dir mein Herz gehört. Ich kann nicht essen, wenn ich nicht weiß, daß du ebenfalls etwas zu essen hast Ich kann nicht schlafen, wenn dein Körper nicht neben mir liegt. Du bist ein Geschenk, weil ich dich liebe.
Aus keinem anderen Grund. Ohne irgendwelche anderen Bindungen oder Fesseln. Weil du meine Seele bist.«
Er wandte den Blick ab. »Du verstehst mich nicht. Ich glaube du siehst dich als Sache, als Besitz oder als Schoßtier, um das ich mich kümmere, weil ich dich >besitze< -« Seine Stimme brach. »Ich werde dich niemals besitzen, Chloe. Du kannst gehen, wann immer du willst. Du bist frei, jede Entscheidung zu treffen, die du möchtest. Ich werde dafür sorgen, daß du soweit in Sicherheit bist, daß du diese Entscheidungen treffen kannst.« Sein leidender Blick traf auf ihren. »Erlaube mir das, Chloe.«
Beschämt und betreten über seine Worte wandte sie sich ab. Sie wollte ihn umarmen, doch die Kluft schien zu tief. Sie beide waren alles, was jeder von ihnen hatte. In ihrem Kopf dröhnten unbeantwortete, schmerzhafte Fragen. Nach einer Weile strich ihr Cheftu in einer sanften Liebkosung übers Haar. »Paß auf dich auf, meine Teure«, sagte er und verschwand. Der kleine Löwe sprang in einem Satz von Chloes Schoß, um ihm zu folgen, und ließ Chloe allein unter dem strahlend blauen Himmelszelt zurück.
Sie schuftete den ganzen Tag, säuberte erst das Gelände und fegte dann die größte Höhle mit einem Palmwedelbesen aus. Als sich eine große Vogelschar auf dem Strand und auf den Akazienbäumen darüber niederließ, nahm sie ihren bemalten Wurfstock und ging auf die Jagd. Nach zwei Stunden hatte sie zwei Vögel und ein
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