Die Prophetin von Luxor
manchmal das Gefühl gehabt hatte, eigentlich brauchten sie gar keine Kinder. Vater arbeitete in irgendwelchen obskuren Staaten im Nahen Osten, und Mom machte dort Ausgrabungen und schmiß phantastische alkohol- und schweinefleischfreie Parties.
Chloe liebte Cheftu mit Leib und Seele, doch sie konnte und würde nicht mit ihm zusammenleben, wenn er sie nicht respektierte. Und wie sollte sie den Respekt eines Mannes aus dem neunzehnten Jahrhundert gewinnen? Selbst im alten Ägypten hatten die Frauen mehr Macht und Freiheiten als während seiner Epoche. Ganz egal, wie lange er schon in Ägypten lebte, die ersten sechzehn Jahre war er Franzose gewesen. Sie wußte nur zu gut, daß man ein Kind in ein anderes Land und andere Sitten verpflanzen konnte, doch niemals vollkommen das Land und seine Sitten in ein Kind.
Mit einem Seufzer wandte sie Cheftu den Rücken zu, hockte sich hin und starrte hinaus in die anrollende Flut. Sie hörte ein lautes Knurren und stellte peinlich berührt fest, daß das ihr Magen war.
»Wir haben immer noch die Austern«, meinte Cheftu müde. Offenbar hatte er es auch gehört.
»Ich hole sie. In welchem Tümpel?« fragte Chloe im Aufstehen.
»Dem dritten von rechts.«
Die Tümpel zählend, stieg sie über die Felsen. Der Mond stand schon am Himmel, eine schmale Sichel nur, doch das Licht reichte, um ihr den riesigen Haufen von Austern zu zeigen. Cheftu mußte getaucht haben, um so viele zu sammeln, dachte Chloe, während sie die Schalen in ihr zerfetztes Gewand hob. Dann stolperte sie zurück zum Feuer.
Es loderte jetzt hell auf, und Cheftu hatte das Brot herausgeholt. Das Papyruspaket war offen, und Chloe sah, daß gedämpfte, knackige Kräuter und Zwiebeln darin eingewickelt waren. Sie begann, die Austern mit dem Messer aufzustemmen, wobei sie sich mehrmals in den Finger stach, aber alle Flüche hinunterschluckte.
Die Austern waren delikat, ganz anders als die in Chemiebrühe gewachsenen, die Chloe im zwanzigsten Jahrhundert gekostet hatte. Sie stopften die Kräuter, größtenteils wilder Knoblauch, in das ungesäuerte Brot und schmausten mit Appetit, den Wasserschlauch schweigend hin und her reichend.
Als sie fertig waren und zwischen den leeren Austernschalen und dem niedergebrannten Feuer saßen, war Chloes Magen gespannt wie eine Trommel. Sie hatten kein einziges Wort miteinander gewechselt, und der junge Löwe hatte nicht gewagt, sich irgendwo zu zeigen. Cheftu blieb verschlossen, wich ihrem Blick aus und saß zusammengekrümmt da, den Blick aufs Meer gerichtet. Chloe gähnte zum siebten Mal, richtete sich auf und sammelte zwei Handvoll Schalen ein. Cheftu bemerkte ihre Bewegungen und sah wieder weg. Nach dreimaligem Gehen hatte sie alle Schalen entfernt und kam nun ihre Decke holen. »Machst du dann das Feuer aus?« fragte sie.
»Ja.«
Sie blieb einen Moment stehen und begutachtete, was sie mit ihrem ungestümen Temperament angerichtet hatte. Er hatte sich solche Mühe gegeben. »Gute Nacht.«
»Ja.«
»Es tut mir leid«, sagte sie.
Er sah sie einen Moment zornig an, dann antwortete er nochmals, mit schwerer, müder Stimme: »Ja.« Chloe starrte kurz ins Feuer, dann verschwand sie in ihrer kalten, einsamen Höhle. Stundenlang lag sie bibbernd in der Kälte, während Cheftu neben dem Feuer kauerte. Nach einer Weile umhüllte sie atemberaubender Fischgeruch, und sie hörte eine sandige Zunge über weiches Fell streichen. Nachdem sich der kleine Löwe außergewöhnlich gründlich geputzt hatte, rollte er sich in Chloes Kniebeuge zusammen und schlief ein. Sie strich mit den Fingern über seinen Kopf und freute sich daran, daß sein Schnurren ihre Seelenqualen linderte. Schließlich fiel auch sie in Schlaf.
Leider hatte sich am Morgen nichts geändert. Sie waren immer noch auf Distanz. Sie aßen altes Brot, und Chloe verzehrte sich erneut nach einer Tasse Kaffee. Selbst Nescafe. Der kleine
Löwe war nirgendwo zu sehen gewesen, als sie durchfroren und steif aufgewacht war. Die Sonne stieg schnell höher und schickte die ersehnte Wärme durch Chloes Körper, doch ihr Herz war nach wie vor kalt. Cheftu würdigte sie keines Blik-kes.
Er hatte sich irgendwann gewaschen, fiel ihr auf. Sein Haar war ordentlich aus dem Gesicht zurückgestrichen, und sein Vollbart sah sauber aus. Er hatte auch seinen Schurz geschrubbt und ihn mit einer schmalen Lederschnur zusammengebunden. Seine Arme und Beine waren zerkratzt und fleckig, doch auch damit sah er sexy aus. Chloe hatte das unangenehme
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