Die Prophetin von Luxor
»Nein. Du hast gelobt, bei mir zu bleiben. Ich weiß, daß nur Gott dich dazu bringen könnte, deinen Schwur zu brechen.«
Chloe biß sich auf die Lippen. »Das ist nicht meine Schuld!«
»Nein, ich weiß. Ich verstehe es nicht, aber ich weiß, daß du geblieben wärst, wenn es dir möglich gewesen wäre.«
Er umarmte sie. »Ich kann mir einfach kein Leben ohne dich vorstellen, Chloe«, sagte er und legte dabei einen Finger unter ihr Kinn. »Aber du darfst nicht von mir verlangen, daß ich dich nach Noph begleite und dich dort wegschicke. Für eine solche Liebe ist meine Seele nicht rein genug. Zwing mich nicht, dich dorthin zu begleiten, bitte ...« Seine Stimme erstarb in einem Flehen um Gnade.
Doch sie konnte nicht nachgeben. »Ich will auf keinen einzigen Tag mit dir verzichten, Geliebter«, widersprach sie leise. »Schenk mir diese goldenen Tage, Cheftu, bitte.«
Chloe spürte, wie er zitterte, als er sie umarmte. »Du bittest um Leben, dabei wäre es leichter für mich, dir meinen Tod zu geben«, flüsterte er. Chloe verspannte sich, doch das spürte er und hielt sie fester. »Du weißt, daß ich dir nie etwas abschlagen könnte. Wenn es in meiner Macht liegt, dich glücklich zu machen«, er sah sie an, »dann werde ich das tun. Doch du mußt mir gestatten, meinen Seelenfrieden zu finden, indem ich erst nach meinem Heim und nach denen sehe, die ich geliebt habe und die es nicht verdient haben, daß ich sie einfach vergesse.« Er war nicht umzustimmen.
Sie saß auf der flohverseuchten Liege und lauschte seinen sich entfernenden Schritten. »Ach Cheftu«, hauchte sie, dann kamen die Tränen und ertränkten ihr entzweigerissenes Herz.
Der Späher stand in der Dunkelheit der Sykomoren-Allee. Von deren einstiger Schönheit war nichts geblieben.
Die Bäume waren von den Heuschrecken kahlgefressen worden, auch wenn sich einige von ihnen abmühten, neue Blätter hervorzubringen.
Die Gärten hinter den hohen Lehmziegelmauern waren vertrocknet und verstaubt, weil alles Wasser auf den Feldern gebraucht wurde. Ägypten lag darnieder. Dieses Jahr und wahrscheinlich auch in den folgenden Jahren würde es Hungersnöte geben.
Der Späher fuhr mit der Hand über sein Gesicht und versuchte, das Bild seines jungen Sohnes zu vertreiben, der trotz der Amulette und aller Gelübde zu den Göttern, denen sein Vater so treu gedient hatte, tot am Boden lag. Er nahm einen Schluck aus dem Schnabelkrug zu seinen Füßen.
Wein war darin. Früher hätte er nie Wein getrunken, während er im Dienst war, doch diese Aufgabe hier war sinnlos. Wie sein ganzes Leben. Er dachte auch an die trauernde Frau, mit der er zusammenlebte, an ihre unvermittelten, oft manischen Energieschübe, an ihr Heulen, das vom Hof zu seinem Zimmer aufstieg. Er hatte ihr angeboten, ihr noch ein Kind zu machen, daraufhin hatte sie eine Flasche nach ihm geworfen. Er betastete die verschorfte Stelle an seiner Braue. Finster nahm er einen weiteren Schluck.
Die Mondsichel stand tief über dem Horizont; es war vielleicht noch eine Stunde bis zum Morgen. Der Wind sang in den nackten Zweigen und kühlte seine nervösen Schweiß. Der Späher beobachtete, wie der alte Ehuru seine Lampe nahm und damit in seiner kleinen Unterkunft neben dem Haupthaus verschwand. So ging das schon seit Wochen. Jeden Tag ging Ehu-ru auf dem fast leeren Markt einkaufen und bereitete alles vor, als würde er jeden Moment die Rückkehr des Hemu neter Cheftu erwarten. Der Späher rieb sich über das Gesicht und spürte, wie die Wärme des Weines an seinen Sinnen leckte. Seine Augen waren beinahe geschlossen.
Dann hörte er ein Geräusch und suchte, schlagartig hellwach, mit seinen schwarzen Augen die Dunkelheit ab. Auf der Straße näherte sich ein Apiru. Er trug den kurzen Schurz eines Sklaven und hatte langes Haar sowie einen zotteligen Bart. Er ging wie ein junger Mann, und sein Körper wirkte geschmeidig, doch Bart und Haar waren grau und die Haut spröde wie Papyrus. Der Späher quetschte sich in den Schatten und beobachtete den Mann interessiert. Der Sklave trug zwei Krüge Bier, und obwohl der Späher sein Gesicht nicht als das eines der hiesigen Sklaven erkannte, wußte er doch den müden, schlurfenden Gang zu deuten.
Bestimmt hatte einer der eleganten jungen Herren den Sklaven ausgeschickt, Bier zu holen, das die Gäste bei der Parfümierung bekommen sollten. Der Späher wollte sich eben abwenden, als er den Mann in das Licht aus einer Fensteröffnung schauen sah.
Augen wie die
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