Die Prophetin von Luxor
Frau fehlt.«
Cheftu lächelte Ehuru hinterher.
Er war für Cheftu wie ein Vater, Diener, Schreiber und Hausverwalter in einer Person und logischen Argumenten genausowenig zugänglich wie alle vier zusammen.
Er lief in das obere Stockwerk hinauf, rief ein paar Diener herbei und stand reglos da, während sie ihn in einen schwer gefältelten Schurz hüllten und die lange fransenbesetzte Schärpe seines Familienbezirks, des Orys-Gaus, um seine Hüfte banden. Seine Brust bedeckten sie mit einem ibisköpfigen Brustschmuck aus Lapis und Tigerauge. Er fügte einen schlichten roten Lederkragen und ein Kopftuch hinzu, schnürte seine Sandalen und befahl, seine Pferde vor den Streitwagen zu spannen.
Dann verließ er sein Haus durch den Seitengarten und spazierte zwischen süß duftenden, eben knospenden Blumen hindurch, die die Rückkehr des Lebens in die roten und die schwarzen Länder Kemts ankündigten. Er nahm die Zügel, wendete seinen Streitwagen auf der breiten, von Sykomoren überschatteten Allee und fuhr den Weg der Adligen hinauf zum Palast und dem Komplex von Karnak.
In Hatschepsuts Vorzimmer drängten sich die Bittsteller, darum trat Cheftu in einen der langen, dunklen Gänge, die zu den Ruheräumen Pharaos führten. Die Wachen nickten ihm zu, und einige von ihnen ließen ein Lächeln aufblitzen, als sie ihren alten Kameraden von der Reise nach Punt und anderen Expeditionen erkannten. Die roten Holztüren waren geschlossen, und Nehesi, Hatschepsuts Vertrauter und Führer der Zehn von Zehntausend, kündigte ihn an. Cheftu trat ein und verbeugte sich auf der Stelle.
Hatschepsut befand sich auf der einen Seite des Raumes, Senmut auf der anderen, aber nicht einmal ihr zu Kopf steigendes Myrrhe-Parfüm konnte den schweißigen Geruch im Raum überdecken; geruht hatten die beiden bestimmt nicht. Er verkniff sich ein Lächeln und wartete darauf, daß man ihn zur Kenntnis nahm. »Hemu neter«, sagte Hatschepsut mit absolut beherrschter Stimme.
»Pharao, ewig mögest du leben! Leben! Gesundheit! Wohlergehen!«
»Wie geht es meiner Priesterin? Ich habe von der Schwesternschaft beängstigende Berichte erhalten - Berichte über
Vorfälle, die sich schon vor diesem letzten zugetragen haben. Nimm Platz.«
Cheftu setzte sich auf einen der mit Leopardenfell überzogenen Stühle im Zimmer und sah seine Pharaonin und Freundin nachdenklich an. Sie trug die Kleidung der Bogenschützen: einen weißen Schurz und blauen Lederkragen, dazu Schienbeinschützer, Sandalen, Helm und Handschuhe. Ihre mit Edelsteinen besetzte zeremonielle Geißel und der Krummstab ruhten auf einem anderen Stuhl, gebettet auf ihren weiß und golden bestickten Umhang. Er stellte sich ihrem azurblau umrandeten Blick und fühlte sich wie jedesmal ein wenig verunsichert durch ihre persönliche Macht und fast männliche Autorität.
»Es gibt keinen krankheitsbedingten Grund dafür, daß sie nicht sprechen kann. Seit vier Tagen wird sie von W’rer Batu und ihrer Dienerin Basha mit den Wassern des Anubis behandelt. Morgen werde ich sie erneut untersuchen, um festzustellen, ob eine Besserung eingetreten ist.«
Hat wandte den Blick von ihm ab und sah zu Senmut am anderen Ende des Zimmers hin. »Was wirst du als nächstes verschreiben?«
»Den Speichel von Hathors Ka.«
Hatschepsut nickte.
»Wenn das nichts helfen sollte«, fuhr Cheftu fort, »schlage ich die Heiligen Bäder von Isis oder Ptah vor. Meine einzige andere Erklärung wäre, daß es bisweilen einem Menschen die Stimme raubt, wenn er etwas sieht, das weit über seine normale Erfahrung hinausgeht.« Hatschepsut warf Senmut einen Blick zu, und Cheftu setzte zu einer Erklärung an. »Vor einigen Jahren habe ich einen Sklaven behandelt, der nicht mehr sprechen konnte. Nach zahllosen und erfolglosen Behandlungsversuchen haben wir ihn dorthin zurückgebracht, wo er seine Stimme verloren hatte.« Er fuhr sich über die Lippen, während sich sein Magen zusammenkrampfte.
»Hemu neter?« hakte Senmut nach.
Cheftu zog die Schultern hoch. »Es war ein Sklave, der von einem meiner Studenten behandelt wurde. Belassen wir es dabei, daß er seinen Sohn hatte sterben sehen und daß er seine Stimme wiederfand, als wir ihn an den Ort des Geschehens zurückbrachten.« Immer noch konnte Cheftu den Alten hören. Er und sein Sohn hatten im tiefen Wasser des Großen Grüns gefischt. Sie hatten herumgealbert und getrunken, bis sein Sohn über Bord gefallen war. Der Mann hatte gelacht; sein Sohn konnte schwimmen wie ein
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