Die Prophetin von Luxor
sammeln. Die Menge der zu liefernden Ziegel bleibt dabei unverändert.««
Und vor sich hin knurrte er: »Faule, freche Lumpenbande. Nur deshalb wollen sie in die Wüste. Wenn man den Ausländern genug zu tun gibt, wird ihnen das Lügen und Träumen schon vergehen.«
Thut blieb die Genugtuung zu sehen, wie die Schultern des Gehilfen mutlos herabsackten. Der Anführer hingegen blieb aufrecht stehen, die braune Hand fest um den krummen, knorrigen Stab geschlossen.
Ich werde euch lehren, den Sohn von Thutmosis zu verärgern! dachte er.
Er setzte sich und rief nach einem Bier. Es würde doch noch ein schöner Tag werden.
WASET
Staunend schaute Chloe, in ihrer Sänfte ruhend, hinaus. Sie war im alten Ägypten und würde gleich dem Pharao begegnen. Was würde Camille nicht dafür geben, einen einzigen Tag hier zu verbringen! Die Vorstellung, wie ihre Schwester mit offenem Mund und riesigen indigoblauen Augen durch dieses Land stolpern würde, brachte Chloe beinahe zum Lachen. Unter Bashas neugierigem Blick unterdrückte sie es zu einem Husten. In Chloes Augen brannten Tränen, als sie daran dachte, was sie verloren hatte. Vorübergehend verloren hatte, ermahnte sie sich grimmig.
Die Leibgardisten bedachten ihre offenen Vorhänge zwar mit mißbilligenden Blicken, doch sie hätte es nicht ertragen, sie zu schließen. Längs dem Ufer erhob sich Karnak, von wo aus eine breite Allee ins alte Theben führte, das hier Waset hieß, und eine zweite zu den Häusern der Adligen und dem Palast. Ihr Transportmittel eilte dahin, während Chloes Blick hierhin und dorthin schoß, um die sattgrüne Uferlandschaft vor dem azurblauen Nil aufzunehmen. Bäume beugten sich über die Straße und gewährten kleine Flecken von Schatten gegen die Wintersonne über ihnen. Die Lehmziegelhäuser der Adligen hatten Flachdächer und weißgekalkte Wände und hinter ihren Mauern, wie sie wußte, stille Innenhöfe, kühle, schillernde Wasserbecken und ganze Familien von Apiru-Sklaven. Nur die Götter wohnten im alten Ägypten in festen Steinhäusern.
Sie liefen durch das Palasttor und blieben stehen. Mit Bashas Hilfe und neuen Sandalen stieg Chloe aus der Sänfte und wurde durch eine Folge von bemalten und vergoldeten Höfen und Hallen geführt, bis sie an Hats Audienzsaal angekommen waren. Mit zitternder Hand strich Chloe ihre Perücke glatt, als sie zum ersten Mal ihre Titel verkündet hörte.
»Die Herrin RaEmhetepet, Geliebte der Nacht, Dienerin Res in Silber, Sprecherin der Schwesternschaft und Priesterin
Hathors. In der Gunst des Großen Hauses.«
Der Zeremonienmeister stieß seinen Stab auf den Boden, und Chloe trat, von der »anderen« geführt, in den langen, schmalen Raum. Gold und weiß gekleidete Edelmänner und glitzernde Damen standen an den Wänden aufgereiht wie für einen stilvollen Spießrutenlauf. Sie bemerkte, wie sich ein paar Köpfe grüßend neigten, als sie vorbeiging.
Am anderen Ende erhob sich ein Podest, auf dem eine der umstrittensten Frauen in der gesamten Weltgeschichte saß. Sie, das »Große Haus«, thronte steif auf einem goldenen Sessel, die Füße in goldenen, geschwungenen Zehen-Sandalen auf einen Leopardenhocker gestemmt, die Arme verschränkt und die Insignien ihres Amtes fest mit den beringten Fingern umfassend. Im Näherkommen erkannte Chloe, daß Hatschepsut tatsächlich wie ein Mann gekleidet war, nämlich nur in Schurz und Kragen, was ihre unübersehbar weiblichen, großen Brüste und ihre langen, lackierten Fingernägel noch hervorhob.
Ihre breite Stirn erhob sich glatt über den festen, weit auseinanderliegenden Augen, umrahmt von schweren goldenen und mit vielen Edelsteinen verzierten Ohrringen. Ihr breiter Mund war mit Gold bestäubt, und an ihrem spitzen Kinn war der künstliche Pharaonenbart aus Lapis und Gold befestigt.
Vor dem Podest warf sich Chloe zu Boden.
Minuten vergingen, ehe ihr erlaubt wurde, sich zu erheben. Die »andere« warnte sie, daß das ein schlechtes Zeichen war. Endlich gebot man ihr, in Hats schwarze Augen zu blicken. Chloe empfand Angst, Respekt und Staunen. Diese Frau hatte während der gesamten fünfzehn Jahre ihrer Regentschaft ihrem Land den Frieden bewahrt.
»Edle Dame RaEmhetepet, Meine Majestät ist immer noch voller Trauer, daß du mich nicht mit eigener Stimme begrüßen kannst. Wie der weise Ptah-Hotep sagte: beschränke dein Herz auf das, was gut ist, und schweige, denn Schweigen ist wichtiger als die Tef-tef-Pflanze. Beschränkt sich dein Herz auf das, was
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