Die Prophetin von Luxor
tatsächlich ein Werk der Götter ist, glaubst du wirklich, ich als einfacher Mensch könnte etwas an ihren Wünschen ändern? Wenn diese Erscheinung natürliche Ursachen hat, dann können wir sie vielleicht entdecken und korrigieren«, meinte er. Er brauchte nicht eigens zu erwähnen, daß Ägypten einer Katastrophe entgegensteuerte, falls das nicht gelang.
Sklaven brachten die Wasserkrüge heraus, und Cheftu sah zu seiner Erleichterung, daß sie für die nächsten Tage genug Wasser zum Trinken hatten, vorausgesetzt, es wurde rationiert. RaEm hatte sich bereits darangemacht, stillschweigend die Besatzung aufzulisten und festzulegen, wieviel Wasser jeder bekam. Cheftu sah kurz zu ihr hin, in einem Strudel von Gefühlen gefangen: Mißtrauen, Bewunderung, Zweifel ... und Begierde. Er spürte, wie sich sein Leib anspannte, und konzentrierte sich wieder auf andere Dinge. Die Frau, die er zu sehen glaubte, war nur eine Illusion. Aus welchem Grund auch immer hielt RaEm es im Moment für zweckmäßig, hilfsbereit zu erscheinen. Laß dich nicht irreführen, ermahnte er sich.
»Wir müssen anlegen und im Sumpfland noch mehr Wasser aufnehmen.« Er entließ die Matrosen und folgte Seti an die Ruderpinne, um gemeinsam mit ihm nach einer geeigneten Stelle Ausschau zu halten, wo sie die benötigten paar Stunden von Bord gehen konnten. Als sie in eine winzige Bucht steuerten, warf Cheftu einen Blick über seine Schulter.
Als hätte RaEm seinen Blick gespürt, hielt sie in ihrer Schreibarbeit inne und hob den Kopf. Cheftu sah in ihre strahlendgrünen Augen, wahrhaftig von der Farbe des Kanaanit-steins, aber glasklar. Sie zwinkerte ihm zu, und er wandte sich mit einem Lächeln ab.
Sie gingen vor der von Fackeln erhellten Ufertreppe des Palastes in Avaris vor Anker. Die Nacht hatte sich herabgesenkt, und Chloe war perplex, wie dunkel es war. Wenigstens war auf diese Weise das verpestete Wasser nicht mehr zu sehen.
Cheftu gab Befehl, ihr Gepäck an Land zu bringen, dann traten sie an den Kai, wo der schwere Duft nachtblühender Blumen den Verwesungsgestank der toten Fische überdeckte.
Der oberste Herold verkündete das Eintreffen Thutmosis’ III. Da Thutmosis noch nicht Pharao war, verzichtete man auf den Zusatz »ewig möge er leben!« - der jedesmal genannt werden mußte, sobald ein Pharao, ob lebendig oder tot, erwähnt wurde. Das müßte es eigentlich leichter machen, über ihn zu sprechen, dachte Chloe. Vor ihm mußte man sich auch nicht zu Boden werfen. Sie und Cheftu erwarteten ihn stehend. Ein kleiner, untersetzter Mann mit eindeutig militärischem Auftreten kam auf sie zu. Er trug die rote Krone Unterägyptens und war in Gold gekleidet: einen goldumrandeten Schurz und einen Goldkragen, dazu unzählige Armreifen und Ringe. Selbst die Schminke um seine Augen war golden und spiegelte den Schein Dutzender Fackeln wider. Er blieb ein paar Schritte vor ihnen stehen, damit er nicht zu ihnen aufsehen mußte.
Cheftu neigte den Kopf. »Sei gegrüßt, Horus-im-Nest. Leben! Gesundheit! Wohlergehen! Deine königliche TanteMutter, Pharao Hatschepsut, ewig möge sie leben!, schickt dir ihre Hoffnung, daß der ruhmreiche Amun-Re über dich wacht.« Thuts braune Knopfaugen erinnerten an Kiesel im Schlammwasser, fand Chloe.
Thut lächelte verkniffen und erkundigte sich kühl: »Wie geht es ihr? Ihr unter der Doppelkrone?« Ohne eine Antwort abzuwarten, wandte er sich an RaEm und reichte ihr die Hand.
»Dies ist also die bezaubernde Priesterin?«
Als Thut sie berührte, durchfuhr Chloe ein brennender Schmerz. Sie fuhr sich mit der Hand an die Kehle, stieß einen Entsetzensschrei aus und schlug sich die vergoldeten Fingernägel in die Brust. Ihre Kehle stand in Flammen! Sie bekam keine Luft mehr! Sie versuchte, das Feuer wegzukratzen, doch Cheftu hielt ihre Handgelenke fest, ehe das Kratzen ihr Erleichterung bringen konnte.
Er sah in ihre aufgerissenen, panischen Augen, deren Pupillen vor Angst und Schmerz so groß waren, daß sie wie schwarze Teiche wirkten. Sie schrie immer noch, in einem durchdringenden, herzzerreißenden Ton.
»Was in Osiris’ Name ist denn los?« brüllte Thut. Dann brach Chloe genauso abrupt, wie ihr Ausbruch begonnen hatte, ohnmächtig zusammen.
»Ist die Herrin vom Wahnsinn befallen?« fragte Thut.
»Ich weiß nicht mehr als du, Prinz«, erwiderte Cheftu tonlos, während er ihren Leib auf seine Arme lud. »Bitte zeig mir den Weg zu den Gemächern der Herrin und laß ein Bad bereiten.«
Thut rief einen
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