Die Prophetin von Luxor
eine Braue fragend hochgezogen.
»Heiliger Osiris!« fluchte er. »Muß ich zu dir sprechen wie zu einer Metze?« Er wandte den Blick ab, und Chloe bemerkte die hellen Falten um seinen Mund. Wieder hatte er sich nicht so gut in der Gewalt, wie es den Anschein hatte. »Trägst du ein Kind in dir?« platzte es aus ihm heraus.
Entrüstet sprang Chloe auf. Sie klappte den Mund auf, um ihm die Leviten zu lesen, als plötzlich Zweifel in ihr aufkeimten. Sie wußte nicht, wie sie sich fühlen würde, wenn sie schwanger wäre, und obwohl sie glaubte, an einigen der typischen Symptome zu leiden, konnte sie nicht sicher sein. Jedenfalls hatte sie noch nicht ihre Tage bekommen. Chloe fuhr sich mit der Zunge über die Lippen und zog die Schultern hoch. Was wußte sie denn schon?
Cheftu wandte den Blick ab, doch da hatte sie den Ekel in seinen Augen bereits bemerkt. Lange blieb es still, dann sagte er: »Also gut.« Er machte einen Schritt auf sie zu, und sie wich vor ihm zurück. »Ich werde dir nicht weh tun, aber Osiris soll mein Zeuge sein, daß du mir vertrauen mußt.« Sein Blick war nicht zu deuten, sein Gesicht tiefernst. Er schien es aufrichtig zu meinen, doch andererseits war er ein Diplomat, ein Höfling. Das war sein Beruf. Sollte sie ihr Leben in seine Hände legen? In die Hände eines Mannes, der sie bereits bei ihrer ersten Begegnung beschuldigt hatte, ein Flittchen zu sein? Daß er es aufrichtig meinte, war nicht eben wahrscheinlich.
Schweigend sah sie ihn an. Natürlich, dachte sie. Ich werde dir erzählen, daß ich aus der Zukunft komme, damit du mich dann verbrennen oder auspeitschen oder einsperren läßt oder was auch immer die Ägypter mit ihren Verrätern und Verrückten gemacht haben! Kopfschüttelnd ging Cheftu davon, mit in der Sonne glänzendem, gestreiftem Kopfschmuck.
Der Rest des Tages brachte für Chloe keine weiteren Aufregungen. Sie werkelte im Garten, wo sie jätete und dabei ihr Leinengewand ruinierte, bis Basha sie ermahnte, sich auszuruhen. Erschöpft von ihrer eigenartigen Ankunft am Vorabend, schlief sie bis nach Einbruch der Nacht.
Als Cheftu zum Abendessen nach ihr schickte, ließ sie ihm ausrichten, daß sie auf ihrem Zimmer speisen würde. Als Thut einen Sklaven aussandte, um sie zu seinem Festmahl abzuholen, lehnte sie erneut ab. Nach einem langen Bad (im alten Badewasser) spazierte sie gemeinsam mit Basha ans Flußufer. Im Sternenlicht sah das Wasser dick und schwer wie Öl aus. Der ätzende Gestank versengte ihr die Nasengänge und erinnerte sie an etwas anderes, an eine andere Gelegenheit, bei der ihr dieser Geruch in der Nase gebrannt hatte. Blut, jede Menge Blut. Es tut nichts zur Sache, schob sie den Gedanken von sich.
Chloe hätte sich zu gern erkundigt, wie sich das Wasser -oder besser der Wassermangel - auf das Land auswirkte, doch sie hatte keine Lust, umständlich ihre Fragen aufzuschreiben, auf die wahrscheinlich ohnehin nur Cheftu oder Thut eine Antwort wußten. So trottete sie zurück in ihr Zimmer und fiel in einen traumlosen Schlaf.
Zwei Tage verbrachte sie in aller Stille. Sie gärtnerte, zeichnete und aß. Sie schlief viel. Ihr Haar wuchs langsam nach; in wenigen Tagen würde es wahrscheinlich wieder anliegen.
Am folgenden Tag berichtete Basha, daß die Apiru Thut gefragt hätten, wann der Fluch vom Nil genommen werden solle, und Thut >morgen< geantwortet hatte. »Warum er nicht >heute< gesagt hat, Herrin, ist mir jedoch ein Rätsel, fürchte ich«, kommentierte Basha. Chloe war ganz ihrer Meinung. Ein Bad wäre wirklich angenehm gewesen. Obwohl es noch nicht sommerlich heiß war, schien im pflanzen- und wasserreichen Avaris die Luft wärmer und feuchter, als sie in Wirklichkeit war. Ähnlich wie in Houston.
Chloe spazierte in den langsam dahinwelkenden Garten und fragte sich, wie sie die kommenden Wochen oder Monate überstehen sollte. Wann würde ihre Stimme zurückkehren? Wann würde sie heimkehren können? Und wie?
Der Gestank vom Nil her war atemberaubend. Zu Hunderten lagen die Fische tot am Ufer und verrotteten. Chloe sah, daß die Sklaven Ordnung schafften. Trotz der Aufseher mit ihren langen Peitschen und dem kurzen Geduldsfaden arbeiteten sie mit spürbar wenig Begeisterung.
Chloe kehrte in den Palast zurück, blieb aber stehen, weil jemand sie rief.
»Herrin! Herrin!« Chloe drehte sich um und sah Cheftus Apiru. »Gesundheit! Leben! Wohlergehen! Mein Herr Cheftu läßt fragen, ob sich die Herrin wohl genug fühlt, heute abend mit ihm zu speisen?
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