Die Prophetin von Luxor
Weg die Treppe hinab zum Fluß sangen: »Gelobt seist du, Vater-Mutter Nil, der du der Unterwelt entspringst und den Be-wohnern im roten und schwarzen Land Kemt Atem spendest. Verborgen in der Bewegung, eine Dunkelheit im Licht. Du wässerst die Ebenen und Täler, die Re erschaffen hat, um alles Lebende zu nähren. Du gibst den Wüsteneien zu trinken, die keinen Tau von deiner Braue ernten. Geliebter Gebs, Beherrscher Tepu Tshatshaius, der du jedes Werk Ptahs zum Erblühen bringst. Er, der die Gerste macht und den Dinkel...«
Ein Tumult zu seiner Rechten ließ Thut innehalten.
»Was gibt es für Probleme, daß wir nicht erst beten können?« rief er seinem Kommandanten Ameni zu, der zwei Männer festhielt. Thut ballte die Fäuste, als er die beiden Unruhestifter wiedererkannte. Wütend stapfte er auf sie zu: »Kommt ihr schon wieder mit euren lächerlichen Bitten und müßigen Drohungen, Apiru?«
»Wir sind gekommen, weil wir Eure Majestät um die Erlaubnis bitten möchten, in die Wüste zu gehen.«
»Wieso?«
»Wir haben dir bereits gesagt, daß wir unserem Gott opfern und dienen wollen.«
Der Prinz marschierte davon, um zu zeigen, daß er sie und ihren Gott für keine Gefahr und bedeutungslos hielt. Er stieg die Stufen zum Fluß hinab, wo sich Ramoses vor ihm aufbaute. Der Apiru hob den Stab mit dem Bronzeknauf in die Luft und ließ ihn auf die Oberfläche des Nils krachen. Thut blieb mit verschränkten Armen neben ihm stehen und sah sich das Schauspiel an. Eigenartigerweise gab es keinerlei Wellen. Das Wasser blieb still.
»Er der da ist, der Gott der Israeliten, Elohim, hat mich erneut zu dir gesandt«, verkündete Ramoses. »Er hat dir befohlen, sein Volk ziehen zu lassen, damit es ihm in der Wüste dienen kann. Doch«, stellte Ramoses mit grimmigem Lächeln fest, »du hast ihn nicht gehört. Darum spricht er: »Damit ihr wißt, daß ich der Herr über alles bin, wird sich das Wasser in Blut verwandeln. Die Fische werden sterben, und der Strom soll stinken. Ihr werdet dieses Wasser nicht trinken oder zum Waschen nehmen können.«« Er fixierte Thut mit einem glühenden Blick.
»Alles was euer unzivilisierter >El< kann, bringen die großen Magier Ägyptens mit Leichtigkeit zustande. Den Fluß, die Quelle alles Lebens in Ägypten, in Blut verwandeln? Das werden die Götter nicht zulassen!« Er erbleichte, als er sah, wie der Fluß hinter Ramoses zu brodeln begann, als hätte ihn etwas verwundet.
Plötzlich trieben Fische mit dem Bauch nach oben an die Wasseroberfläche und verfingen sich im Schilf am Flußufer. Seine Höflinge glotzten mit großen Augen und tuschelten aufgeregt untereinander. Er drehte sich zu seinen Priestern und der Phalanx von Magiern um.
»Ihr unfähigen Tölpel«, zischte er. »Wollt ihr warten, bis der Nil aufhört zu fließen, oder werdet ihr etwas unternehmen? Macht diesem Spuk augenblicklich ein Ende!« Auf seiner breiten Stirne stand der Schweiß, und plötzlich schien ihn sein schwerer Kopfputz zu erdrücken. Er klatschte in die Hände und sah Ramoses an.
»Nachdem dir die gewünschte Zeit gewährt worden ist, werde ich nun mit meinen Morgengebeten fortfahren, Apiru. Ich werde weder dich noch dein Volk in die Wüste ziehen lassen. Niemals! Und nun geh mir aus den Augen!« Mit diesen Worten streckte er die Arme aus, um sich für das Gebet mit Wasser übergießen zu lassen. Der Priester hob den Krug an und ließ ihm das Wasser über die Schulter laufen.
Die atemlose Stille wurde von lauten Schreien zerfetzt, als das reine Wasser auf Thuts Hände fiel und sich dort in frisches Blut verwandelte, dick, glitschig und noch warm. Entsetzt schaute Thut auf seine Hände.
Das Blut Ägyptens.
Als er auf den Boden blickte, sah er, daß sich alles Wasser in Blut verwandelt hatte, sobald es seinen Körper berührte. Da Ramoses bereits verschwunden war, fuhr Thut zu seinen Magiern herum - um so furchterregender in seiner hoheitsvollen Haltung, als Blutspritzer seinen weißen Schurz und Goldkragen bedeckten und die ersten Tröpfchen bereits auf seinem Gesicht zu dunkeln begannen.
»Bei allen Göttern! Unternehmt etwas! Soll der Ruhm Ägyptens -« Er korrigierte sich. »Soll der Gefährte des Ruhmes Ägyptens dem Zauberspruch eines Ausländers erliegen?« Er atmete tief ein und zischte durch zusammengebissene Zähne: »Gebietet diesem Sakrileg Einhalt!«
Die Fische fingen bereits an, in der warmen Sonne zu verrotten, und Thut war klar, daß schon mittags niemand mehr am Fluß würde
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