Die Prophetin von Luxor
Seher zu sein, hatte seine Vorteile. Die Vorzeichen waren tatsächlich düster gewesen, Cheftu hatte nur die Kontraste etwas verstärkt. Seine Lüge hatte ihm die Rückkehr zum Palast und vier Tage ohne Thut oder einen anderen Soldaten eingebracht, von der Palastwache einmal abgesehen.
Ein Scharren an der Tür zum Garten störte ihn auf. Er zog sich das Laken über den nackten Leib und rubbelte einmal fest mit der Hand über sein Gesicht, dann ging er hinaus.
Sein Israelit Meneptah, ein Geschenk Alemeleks, stand vor ihm. Cheftu streckte die Hand aus und gab ihm einen Klaps auf die Schulter. »Ich freue mich, dich zu sehen, mein würdigster Schüler.«
Meneptah kreuzte respektvoll den Arm vor der Brust.
»Hemu neter. Gesundheit, Leben und Wohlergehen!«
Cheftu sah ihn an. »Wieso hast du Ehuru nicht gesagt, daß du kommst? Es ist schon spät, aber würdest du die Parfümierung des Mundes mit mir teilen?«
Meneptah senkte die braunen Augen. »Nein, Hemu neter. Ich komme zu dir, weil ...« Er hielt inne. »Bitte, Meister, du mußt mitkommen.«
Da Cheftu wußte, daß Meneptah ihn nie derart dreist bitten würde, wenn es nicht sehr dringend wäre, kehrte er in sein Zimmer zurück, zog sich an und folgte dem Israeliten mit ausgreifenden Schritten durch die engen Gassen, bis sie auf eine breite Straße kamen. Re brannte heiß auf ihre unbedeckten Häupter, und Cheftu spürte, wie die Stecker seiner goldenen Ohrringe in der Hitze zu brennen begannen. »Meneptah, wenn ich gewußt hätte, daß wir zu Fuß nach Noph laufen, hätte ich meinen Streitwagen genommen«, meinte er halb ironisch.
»Es ist nicht mehr weit, Hemu neter.« Eine Weile eilten sie unter drückendem Schweigen weiter, dann bog Meneptah von der Straße ab und folgte einem Trampelpfad durch das dichte grüne Unterholz. Cheftu zog einen Wedel aus seinem Gürtel und versuchte, die Schwärme blutgieriger Moskitos zu verscheuchen. Schließlich kamen sie auf eine Lichtung, und Cheftu sah dicht beisammenkauernde Lehmziegelhäuser. Ein Apiru-
Dorf.
Meneptah eilte zum zweiten Haus und schleuderte die Tür auf.
Cheftu folgte ihm durch ein düsteres Gehege von Zimmern. Neben einem Strohbündel auf dem Boden kniete Meneptah nieder und zog den Vorhang vor dem Fenster zurück. Cheftu fühlte sich, als hätte Seths Hand seine Kehle gepackt und würde alle Luft aus ihm herausquetschen. Im stechenden Sonnenlicht sah er eine zerschundene Gestalt auf der Matte liegen, schlammbedeckt, blaugeschlagen und in ein loses Leinentuch gehüllt. RaEmhetepet.
»Wo hast du sie gefunden?« knurrte Cheftu Meneptah an. »Und wie lang ist das her?«
Eine behelfsmäßige Sänfte schaukelte zwischen Meneptah und einem seiner Cousins hin und her, während sie zum Palast zurückkehrten. Cheftu steckte die Hand in einer beruhigenden Geste aus. RaEms Haut glühte, ein sicheres Zeichen dafür, daß ihr Ka gegen einen Eindringling kämpfte. Je länger Cheftu über Meneptahs Schilderung nachsann, desto heller und heißer brannte sein Zorn. Den Göttern sei Dank, daß einer der Israeliten sie am Morgen gefunden hatte.
Wo war sie wohl gewesen, daß ihr Abend in einem Bewässerungsgraben hinter einem Apiru-Dorf geendet hatte? Wer hatte eine Priesterin halbtot liegenlassen? Ganz offensichtlich nicht der Prinzregent. Phaemon war verschwunden, Pakab war in Waset, also blieb nur noch Nesbek. Ihre anderen verlotterten Liebhaber hockten alle weit entfernt von hier in Oberägypten.
Die Gruppe bog auf die Straße ein, und Cheftu überlegte, ob er RaEm in ihre eigenen Gemächer bringen sollte. Er kam zu dem Schluß, daß sie bei ihm sicherer aufgehoben war; wieso war Basha nicht zu ihm gekommen? Sie wußte, daß er für die Priesterin verantwortlich war. Nein, er und Meneptah würden RaEm abwechselnd bewachen, bis Cheftu die Sache aufgeklärt
hatte. Hier paßte einiges nicht zusammen.
Er sah auf die schaukelnde Sänfte. Ihre braune Haut war unnatürlich gerötet, und um ein Auge zog sich ein dunkler werdender Ring . es würde einige Zeit dauern, bis sie es wieder ganz öffnen konnte. Dicht neben ihrem Kiefer zog sich eine Schwiele über ihr Gesicht. Ein wenig höher, und ihr hätte das Ohrläppchen abgerissen werden können. Cheftu spürte, wie ihm das Essen von gestern hochkam, als er daran dachte, welches Instrument derartige Verletzungen zufügte. Er wußte, daß RaEm einen Hang zu wenig appetitlichen Vergnügungen hatte; zählten dazu auch mißhandeln und mißhandelt zu werden?
Er mußte daran
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