Die Prophetin von Luxor
rief Meneptah zu, neue Tücher zu holen, dann riß er erneut das Leinen von RaEms Leib.
Sie lag in einer Pfütze von frischem Blut und wurde sichtbar bleicher, je mehr Leben aus ihr herausfloß.
Säure brannte in seinem Magen. Er verfluchte sich und suchte hastig nach weiteren Anzeichen. RaEm hatte ein Gift genommen oder verabreicht bekommen, das als Abtreibungsmittel wirkte. Er kannte die Wirkung bereits. Der arme Sklave, der vor ein paar Tagen gestorben war - er hatte kein Kind zum
Abtreiben gehabt und war darum innerlich ausgeblutet, bis er schließlich an seinem Blut und seinem Erbrochenen erstickt war.
Hatte Pharao irgendwie erfahren, daß er, Cheftu, ihr das Gift nicht verabreichen würde? Hatte sie einen anderen Komplizen gefunden? In seiner Erinnerung blitzte kurz ihre letzte Zusammenkunft vor seiner Abreise aus Waset auf.
»Eine vertrauliche medizinische Mission«, so hatte sich Pharao ausgedrückt, als Senmut ihm das Päckchen mit giftigen Kräutern überreicht hatte. Die eigenartigen Umstände, unter denen man RaEm im Tempel aufgefunden hatte, hatten noch mehr Fragen aufgeworfen und das Feuer von Hatschepsuts Paranoia zusätzlich angefacht. Das Blut an RaEms Händen war das eines Fremden gewesen, aber wessen?
Und jetzt dieses Blut. Hatte sie selbst Hand an sich gelegt? Hatte RaEm sich wie so oft für den leichtesten Ausweg entschieden, oder war die vergiftete Ente neulich abends nicht für den Prinzen, sondern für sie bestimmt gewesen?
In einer Nische seines Geistes nahm er die betenden Priester wahr, deren ansteigende und wieder fallende Gesänge durch die Gänge hallten. Jemand hatte sie herbeigerufen. Selbst sie wußten, daß die Frau im Sterben lag. Oder hatten sie damit gerechnet? Wo waren die Priesterinnen Hathors?
Blut ergoß sich aus ihr, und bald würde ihr ungeborenes Kind folgen. Wenn er nur ein wahrer Magus wäre, wenn er über Kräfte verfügen könnte, die größer waren als seine eigenen . dann hätte er sie retten und sich ein Leben lang in ihrer Dankbarkeit sonnen können. Cheftu gab sich im Geist eine Ohrfeige. Ganz gleich, wie sehr sich RaEm verändert hatte, sie würde wahrscheinlich eher ihr Leben damit zubringen, vor seinen Augen ihre Gesundheit mit anderen Männern zu ruinieren, als ihm zu danken.
Wenn Cheftu in ihre nun grünen Augen schaute, hatte er jedesmal den Eindruck, daß ihn ein neuer Mensch anblickte. Jemand, dessen Schönheit sich nicht nur auf Kleidung und Schmuck beschränkte, sondern auch Charakter und Güte umfaßte. Ihre Verunsicherung, wenn er von der Vergangenheit sprach, war nicht gespielt. Und ihre Berührung! Wieso reagierte sie plötzlich so anders auf ihn? Und er auf sie? Da war mehr im Spiel als nur körperliche Begierde - auch wenn er gegen die ununterbrochen ankämpfen mußte -, da war auch ein tiefes, elementares Wiedererkennen. Bei den Göttern, er wußte nicht, was es war.
Cheftu biß die Zähne zusammen und zwang sich in die Gegenwart zurück. Verprügelt und vergiftet. Jemand war fest entschlossen, RaEm zu töten. Handelte er auf Pharaos Befehl? Pharaos Befehl zuwiderzuhandeln war gleichbedeutend mit dem Tod und für einen Ägypter undenkbar. Er lächelte grimmig. Ptah sei gelobt, daß dies auf ihn nicht zutraf.
Meneptah kam hereingerannt, einen weiteren von Cheftus Medizinkörben auf der Schulter und frische Tücher in der Hand. Cheftu riß ihm das Leinen aus der Hand und begann, den Blutfluß zu stillen. Er wusch das Blut mit warmem Wasser weg, und seine Augen brannten, als er an das Kind dachte, das, bei der Feder, er sich einst von ihr gewünscht hatte.
Er nahm ihre Hand und kniete neben der Liege nieder.
»RaEm, kannst du mich hören?« Ihre Augäpfel bewegten sich hinter den fest geschlossenen Lidern. Er liebkoste ihre schlanken Finger in seiner festen Hand. »RaEm, es ist verboten, dich zu berühren. Eine reine Priesterin darf nur von ihren Schwestern behandelt werden. Doch die sind nicht hier.« Und du bist nicht rein, ergänzte er in Gedanken. »Du mußt mich wissen lassen, was du empfindest. Du verlierst dein Kind, RaEm. Hast du etwas eingenommen? Hat dir jemand etwas gegeben? Ich muß wissen, welches Gift dich in seinem Griff hat, RaEm. Du mußt mir erzählen, was passiert ist.«
Sie stöhnte leise und glühte vor Fieber. Er rief nach kälterem Wasser und badete sie dann stundenlang, um ihre Temperatur
zu senken. Bei einer Fehlgeburt konnte Fieber tödlich sein.
»Hast du etwas getrunken? RaEm, wo bist du gewesen?«
Wie in
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