Die Prophetin
gefahren – zuerst zu Rabbi Goldman, danach zur Öffentlichen Bibliothek, in das Archäologische Institut der Universität und von dort zurück zu Rabbi Goldman –, und er hatte sich den Kopf darüber zerbrochen, wie er Catherine helfen könnte. Seine Versuche, im Internet einen Hinweis auf Fabianus, Fabiana oder etwas, das mit Sabina und den Schriftrollen in Zusammenhang stand, waren alle gescheitert. Erst, als er Rabbi Goldman die ganze Sache erzählt hatte, nahm der geduldige alte Gelehrte ein verstaubtes Buch mit brüchigen Seiten aus dem Regal, drückte es Julius in die Hand und sagte lächelnd: »Es ist vielleicht nicht so schnell wie ein Computer aber dafür stürzt der Text nie ab.«
Julius fuhr sich nervös mit den Fingern durch die dichten schwarzen Haare, ging zur Glasschiebetür, die auf die verwitterte Holzterrasse führte, und trat hinaus in die frische Meeresluft.
Die Terrasse lag im Schatten; sein Blick fiel auf die bequeme Zedernholzsitzgruppe, die Töpfe mit den roten und rosa Geranien und auf den getrockneten Seestern, den er und Catherine eines Nachts im Sand gefunden hatten.
Damals hatten sie sich zum zweiten Mal geliebt – am Strand unter den Sternen. Kurz danach waren sie vor fünf verrückten Motorradfahrern geflohen, die dicht am Wasser ein Rennen fuhren. Er lächelte bei diesem Gedanken. Dann hätte er am liebsten geweint.
Catherine…
Er hatte der Polizei schließlich sagen müssen, was er wußte. »Ja, Dr. Alexander ist im Besitz von Schriftrollen. Nein, ich weiß nicht genau, wie sie in die Vereinigten Staaten gebracht wurden. Nein, ich weiß nichts über die genaue Fundstelle.« Er hatte Halbwahrheiten zu Protokoll gegeben und versucht, nicht zu lügen, gleichzeitig aber auch, Catherine zu schützen. Er fühlte sich innerlich zerrissen. Wo, so fragte er sich, war die Trennungslinie zwischen dem Gewissen eines Mannes und seiner Liebe zu einer Frau? Mußte das eine das andere ausschließen? In diesem Fall, dachte er bitter, war es so.
Sein Blick glitt über den perlmuttfarbenen Pazifik, der sich am fernen Horizont verlor, wo tiefe Wolken hingen und einzelne Sonnenstrahlen dazwischen das Wasser küßten. Hinter diesem Horizont, auf der anderen Seite der großen runden Erde lag Hawaii mit dem Halekulani Hotel, wo er und Catherine sich ihre Liebe gestanden hatten.
Wenn es nur möglich wäre, die Uhr zurückzudrehen, die Tage und Monate ungeschehen zu machen, noch einmal neu zu beginnen in einer Zeit der Unschuld und in dem Wissen, was kommen würde, und der Möglichkeit, es zu vermeiden.
Das Telefon im Haus klingelte wieder, und er lauschte, weil er hoffte, es sei Catherine.
Doch es war nur wieder ein Sensationsreporter, der Julius Geld für seine Geschichte anbot.
Julius hoffte, Catherine werde anrufen, obwohl er wußte, daß sie es nicht wagen konnte. Als die E-Mail-Nachrichten von fremden Menschen auf der ganzen Welt eingegangen waren, die ihm versicherten, Catherine gehe es gut, hatte ihn der Computer mit einem Warnsignal darauf aufmerksam gemacht, daß sein Ko-dierungsprogramm geknackt war und seine Post gelesen wurde. Catherine hatte recht gehabt.
Wütend auf sich und auf seine Hilflosigkeit ging Julius ins Haus zurück und zog die Sachen aus, die er einen Tag und eine Nacht lang getragen hatte. Dann duschte er und stellte das Wasser so heiß, daß seine Haut krebsrot wurde. Doch das Duschen half nicht. Er fühlte sich anschließend immer noch so zerschlagen wie zuvor. Wenn er Catherine etwas von dem Manuskript des Thomas von Monmoth sagte, unterstützte er sie in einer Sache, die er für falsch hielt. Wenn er ihr nichts sagte, dauerte ihre Suche Wochen, vielleicht sogar Monate, und die Gefahr für sie wuchs.
Beim Anziehen dachte er an das Telefongespräch mit seiner Mutter an diesem Morgen. Sie hatte ihn sehr aufgeregt angerufen, nachdem sie gehört hatte, was in den Nachrichten über Catherine berichtet wurde.
»Julius, du trägst eine schwere Last«, sagte seine Mutter. »Trag sie nicht allein. Gib dich in Gottes Hand.
Bitte ihn, dich zu führen.«
Plötzlich dachte Julius an die tröstliche Atmosphäre der Synagoge, an die Lade mit den Thora-Rollen, an die brennende Lampe, die symbolisierte, daß das Licht der Thora nie erlöschen werde, und an die hebräische Inschrift über der Lade: »Wisse, vor wem du stehst.«
Er dachte: Ich werde zur Synagoge gehen und beten. Doch als er im Geist die Stimme seines längst verstorbenen Vaters hörte, der sagte: »Baal
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