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Die Prophetin

Die Prophetin

Titel: Die Prophetin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: wood
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Weihnachtsfest des Jahrtausends ein ganz besonderes, ein einmaliges Geschenk machen wollen. Als sie las, daß in England ungefähr zwanzigtausend Adelstitel zum Verkauf standen, hatte sie sich nach Einzelheiten erkundigt. Wer einen solchen Titel kaufte, hatte das Recht, sich zum Beispiel Lord oder Lady of the Manor zu nennen. Obwohl bereits das sehr reizvoll klang, wußte Erika, daß sie sich für Miles nicht mit einem beliebigen Titel zufriedengeben konnte. Es gab nur einen, den sie haben wollte.
    Als Miles 1990 erfahren hatte, daß der Titel des Lords von Strat-ford-upon-Avon für die Rekordsumme von 228.000 Dollar verkauft worden war, erwähnte er, daß er diesen Titel gern selbst gehabt hätte. Erika hatte sich das gemerkt und auf eine Gelegenheit gehofft, ihn zu erwerben. Tatsächlich stand der Titel in diesem Jahr wieder zum Verkauf.
    Als sie jetzt nach dem richtigen Papier für die polierte Schatulle aus Wurzelholz suchte – das wertvolle Dokument war erst an diesem Morgen aus London eingetroffen –, hob sie den Kopf und blickte hinaus auf die schneebedeckten Sangre de Cristo-Berge. Erika dachte daran, wie unbekümmert sie inzwischen mit Geld umging. Es war schwer, nicht zu vergessen, daß es einmal eine Zeit gegeben hatte, in der sie manchmal nicht genug Geld für einen halben Liter Milch besaß.
    Ihre Finger strichen über das goldgehämmerte Geschenkpapier in ihren Händen, und plötzlich erfaßte sie eine überwältigende Sehnsucht nach einem einfacheren Leben. Damals, als Miles noch nicht den Durchbruch geschafft hatte… Sie erinnerte sich an die Worte von Miles. Er hatte heute morgen beim gemeinsamen Frühstück den Satz aus einem Buch zitiert: »›Suchst du nicht ein Licht, du, der du von Dunkelheit umgeben bist? Suchst du nicht den Weg nach Hause?‹« In letzter Zeit überraschte er sie häufig mit solchen Zitaten. Erika wußte nicht, wo er sie fand, vermutete jedoch, daß sie aus einem Werk stammten, das er ihr zu Weihnachten schenken wollte. Es würde Miles ähnlich sehen, auf diese Weise ihre Neugier zu wecken.
    Manches, was er zitierte, klang biblisch, anderes nicht, doch es gefiel ihr alles.
    Während ihr der Satz immer wieder durch den Kopf ging, blickte sie auf die vielen Geschenke, die ein anschaulicher Beweis ihres Reichtums waren. Ja, ich suche das Licht. Ich suche den Weg nach Hause.
    Plötzlich begriff Erika etwas, als sei ein Schleier von ihren Augen gezogen worden.
    »Ich suche tatsächlich den Weg nach Hause«, flüsterte sie, erstaunt über diese schlichte, aber wahre Erkenntnis, die sie wie eine Offenbarung empfand. Und wo war ihr Zuhause? Nicht hier, in all diesem Reichtum. Wo dann?
    Zu Hause ist die Vergangenheit, die Zeit vor vielen Jahren, bevor… Bevor?
    Erika hatte noch eine Offenbarung, die so klar und überwältigend war, daß ihr der Atem stockte und das Geschenkpapier ihren Händen entglitt. Vor dem Krieg…
    Nun war es heraus. Das war die eigentliche Ursache ihrer Unzufriedenheit in letzter Zeit.
    Erika erkannte, daß sie den Keim dieser Erkenntnis schon lange in sich getragen hatte – genaugenommen seit drei Jahrzehnten, in denen sie ihre Kinder großgezogen hatte und die Ehefrau des inzwischen beinahe legendären Miles Havers gewesen war. Sie hatte es sich nur nie eingestehen wollen.
    Der Mann, den sie 1968 einen Tag vor seiner Abfahrt nach Vietnam geheiratet hatte, war ein anderer Mann als der, der zurückgekommen war.
    Erika wußte, daß dieser Krieg das Leben Tausender zerstört hatte. Aber sie hatte geahnt, daß es in ihrem Fall irgendwie anders war. Die Erlebnisse in Vietnam hatten Miles anders geschädigt. Er war ohne einen Kratzer zurückgekommen. Es hatte keine Alpträume gegeben, aus denen er schreiend aufwachte, wie andere Ehefrauen es von ihren Männern berichteten. Miles hatte nach dem Krieg wie ein kleines Kind geschlafen. Er brauchte keine psychologische Beratung, keine Selbsthilfegruppen, er litt nicht unter Depressionen oder an Schuldgefühlen. Miles war mit einem seltsamen neuen Ehrgeiz zurückgekommen, den sie vorher nie an ihm bemerkt hatte, und mit einem eigenartigen Optimismus, der sie irgendwie verwirrte.
    Er sprach nicht über seine Kriegserlebnisse. Er lächelte nur und sagte, er habe die Kraft des Tigers in sich.
    Aber nun, nach dreißig Jahren, in denen Erika es nicht hatte wahrhaben wollen, zwang sie sich, der Tatsache ins Auge zu sehen, daß Miles sich in Vietnam auf beunruhigende Weise verändert hatte – er war fröhlich

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